Mein erster Besuch in einem Yogazentrum sollte nur der Bewegung dienen. Ich hatte schon ziemlich lang alleine praktiziert und wollte mal unter Anleitung die Asanas perfektionieren. Darum ging es mir. Um nichts anderes. Aber ich mach ja ziemlich viel Blödsinn mit, solange mich keiner den ich kenne dabei beobachten kann deswegen bin ich auch ganz entspannt in meinen ersten Satsang gegangen. Ein Satsang ist ein zusammentreffen von Menschen, die sich spirituell austauschen und zusammen reden, nachdenken und singen. Wegen einem Gurumangel leitet der Ashramleiter diese Satsangs, unterstützt durch Leute die im Zentrum wohnen.
Man sitzt also im Schneidersitz vor einer niedrigen Bühne. Auf der Bühne stehen Trommelchen und Rasselchen, Blümchen und ein Harmonium, sowie ein Altar mit bunten Murtis. So werden die Staturen der Götter genannt. Über dem Altar hängen Bilder. Swami Sivananda, Swami Vishnu-Devananda und Jesus.
Man kann sich ein Buch nehmen, wo die Texte der Kirtans drin stehen und nach einer halben Stunde Meditation, setzte sich jemand ans Harmonium und es wurde das Jaya Ganesha gesungen. Erst der Vorsänger, dann die „Gemeinde“. Das Lied ging ins Ohr, der Text war nicht so kompliziert und durch das ständige wiederholen, konnte man ihn dann gut mit singen. Om Om Om… Dann gab es eine kleine Geschichte von Swami Sivananda, die einen durch den Tag begleitet und zum nachdenken anregt. Auf der Bühne ist ein Kommen und Gehen, mit Gitarre oder Trommeln haben sich immer ein paar darauf vorbereitet ein Kirtan, so heißen diese Lieder in Sanskrit, zum besten zu geben. Dann gab es ein paar Friedensmatras und ein Arati. Jemand schwenkt ein Feuerchen und alle singen und dann – fielen alle auf die Knie und drückten die Stirn auf die Yogamatten und ich dachte – um einen guten Freund zu zitieren – „Leck mich in die Fresse geschissen!“ und dann war ich die einzige die noch aufrecht saß und dann habe auch ich schnell meine Stirn Richtung Boden bewegt. Nicht ohne Camäleonartig links und rechts von mir zu gucken ob das tatsächlich alle machen und ob mich einer beobachtet, der sich am Ende noch über mich lustig macht. Und ich dachte daran ob mein Arsch fett aussieht für die die hinter mir sitzen und ich dachte was wohl die Kumpels sagen würden mich hier so zu sehen und auf keinen Fall dachte ich Om, Shanti oder Frieden. Das ganze war recht unangenehm und sollte für die nächsten 3 Tage sowohl Morgens und Abends statt finden und ich war nur froh, keinen um mich rum zu haben den ich je wieder sehen könnte. Ich musste erst mal die Frage für mich klären, was soll die Verbeugerei? Bin ich dafür geschaffen in Demut auf die Knie zu fallen? Am Arsch. Natürlich nicht. Demut vor was bitte schön? Ich mach doch keinen Kotau vor jemanden in Jogginghosen!
Nun, das war vor ein paar Jahren. Es war mir noch ein paar mal peinlich, manchmal habe ich mich sogar fremdgeschämt, wenn Lehrer rein gekommen sind und haben sich erst mal vor dem Altar verbeugt. Zeitweise war es mir egal und manchmal bin ich einfach trotzig sitzen geblieben. In einer besonderen Trotzphase habe ich sogar mal jemandem den Mittelfinger gezeigt, weil er mich fragend angeglotzt hat.
Während einem Satsang meinte mal der Bühnenmann, wir wären alle EINS. „Stellt euch vor, jedes Luftmolekül was ihr einatmet, war vorher schon in den Lungen von jedem anderen hier im Raum…“ und ohne Scheiß, ich habe sofort Halsschmerzen bekommen, die Mundwinkel haben geprickelt und am nächsten Tag hatte ich eine richtige Erkältung, ausgelöst wohl möglich vom Ekel.
Aber irgendwann, die zwei Jahre Ausbildung waren fast vorbei, hatte ich es während einer besonders intensiven Pranayama plötzlich begriffen. Ich saß den dritten Tag auf meinem Hintern. Am Tag vorher hatte ich noch gedacht, dass ich nach der Ausbildung nie wieder Meditiere oder irgend welche Scheiß Atemtechniken mache. Ich hatte regelrecht Panik vor dem letzten Tag, weil mein Hintern nur noch weh getan hat vom drauf sitzen, ganz zu schweigen von meinem armen Rücken und mein Nacken und fragt nicht nach meinen Knien. Aber der dritte Tag lief wieder erwartend ganz gut und die drei Stunden waren ratzfatz um.
Und dann aus heiterem Himmel wusste ich was mit
„Brahman ist wirklich, die Welt ist Schein. Das Selbst ist nichts als Brahman allein.“gemeint ist.
Oder vielleicht habe ich es auch nur geahnt. Wir sind alle EINS.
Auch die alte Eule da vorne links die während der Märchenstunde sich die ganze Zeit Pickel auf dem Unterarm ausdrückt. Oder der Typ mit dem fettigen Haar gleich neben ihr, der viel zu lange und schmutzige Fingernägel hat. Auch die Dame rechts von mir, die ihre blickdichte Strumpfhose für eine Leggins hält und wenn sie sich bückt sieht man diese beiden Nähte und ihr Schlüpfer scheint auch durch.
Ich bin nicht eins mit ihrem Körper oder Geist, der veränderlich und Schein ist. Das sind sie ja auch nicht. Mein Körper und mein Geist ist meine Erziehung, Ernährung, Umfeld; alles nimmt Einfluss und alles ist veränderlich. Aber der Kern, die Essenz, Atman, das absolute Bewusstsein, das eins ist mit Brahman, dem Unveränderlichen und Unbegrenzten und somit eins mit Allem.
Und das finde ich so fantastisch, dass ich ohne Probleme meinen Kotau mache und zwar vor mir. Und somit auch vor dir, vor ihm und vor ihr. Und an meinem Altar zu Hause hängt ein Bild von Swami Sivananda, Ganesha und dem lieben Fräulein. Und darauf steht Buddha und eine Schale mit Steinen und Muscheln und manchmal meine Autoschlüssel. Und auch wenn mein Geist sich kurzfristig besser fühlen würde, wenn ich deiner Hülle einen Tritt verpassen könnte, was ich wegen schlechtem Karma aber natürlich nicht mache. Ich liebe deinen Kern, deine Essenz, Atman.
Deswegen „Namaste“
Das göttliche in mir, grüßt das göttliche in dir.