Dieser Text dürfte einigen noch bekannt sein. Aus einer Zeit, wo ich kurz vor meinem 40. stand und mein liebes Fräulein sweet sixteen war.
Wir hatten das Jahr zuvor Urlaub an der Ostsee gemacht und hingen in einer Ferienwohnung aufeinander. Das war also vor der minimalistischen Wende und die Woche war kaum auszuhalten. Wir haben uns nur gestritten und wussten eigentlich nichts so richtig miteinander anzufangen. Anschreien ging. Als ich wieder zu Hause waren, schwor ich mir nie wieder Urlaub mit dem lieben Fräulein zu machen. Also kein Urlaub zum rumhängen.
Wandern wollte ich schon immer mal und der Harzer Hexenstieg hat mich schon gereizt. Warum jetzt ein Text von wandern?
Hier in Spanien wird es kalt und regnerisch. Mein Heimweh steigt proportional zu den Regenstunden und beim Fotos angucken bin ich auf den Ordner Harzer Hexensteig gestoßen. Und dann dachte ich, so eine Wanderung mit seinem Jungen ist cooler als irgend ein Urlaub in einer Hotelanlage. Vielleicht motiviere ich ja den ein oder anderen einen Wandertag einzulegen. Unter anderem werde ich hier, sobald es wieder trockener ist auch ein paar aktuelle Wanderbilder rein stellen. Den diese Gegend hier ist DIE Wanderlandschaft schlechthin.
Also wandern… Wie war das noch mit dem lieben Fräulein und mir…
Das liebe Fräulein hat“Into the wild“ geguckt und wurde vom Fernweh gepackt. Mich hat der Hungertot am Ende doch sehr beeindruckt und deswegen war es mir lieber erst mal in der Nähe zu bleiben, daß im Falle des Nichtgefallens, jemand mit Auto vorbei kommen kann und uns aus der Wildnis raus holt.
Harzer Hexensteig klang erstmal gut, vor allem weil ich Kumpel Kraus am Start hatte der sich im Harz auskennt und den ein oder anderen Tipp gegeben hat. Knapp 100 km, durch Wälder und über Wiesen, mit sehr schweren Rucksäcken und Hund an der Leine sollte auch erst mal genug „Into the wild sein“. Der Plan war Donnerstag in Osterode zu starten und Dienstag Abend in Thale an zu kommen. Natürlich hab ich mich gefreut, weil das liebe Fräulein mit seinem Mütterchen wandern will, war aber auch ein wenig skeptisch. Mit 16 hat man eh ein dünnes Nervenkostüm und was es heißt ohne Gesichtswasser, Spiegel, Internet und Geschäften aus zu kommen, weiß man erst wenn es zu spät ist und die Anzeige auf dem Smart Phone keinen einzigen Balken mehr hat. Der Hund hat seine beweglichen Tage auch schon hinter sich, aber wie gesagt, es ist ja ganz in der Nähe und Peter Pan hätte uns zur Not retten dürfen.
Donnerstag Mittag ist unser Zug in Osterode angekommen und wir trampelten erst mal fröhlich pfeifend zum Anfang und nach einem kurzen Fotoshoting am Startpunkt gings los. Die erste geplante Etappe erreichten wir gegen 16 Uhr, zwei Stunden früher als geplant. Hier gab es auch den Stempel für unsere Harzer Wandernadel. Das ist so ein bißchen wie Schnitzeljagd. An bestimmten Stellen stehen Kisten mit Stempeln, damit man nachweisen kann, dass man dort gewesen ist. Hat man sich vorher einen Stempelpass besorgt, dann kann man den am Ende der Wanderung vorlegen und ist dann berechtigt eine Wandernadel zu kaufen. Bronze, Silber oder Gold. Und die Nadel vom jeweiligen Wanderweg. Da gibt es ja mehrere.
Wir legten unsere Schlafsäcke am Ziegenbruchteich aus.
Wir planschten ein bißchen im Wasser, das liebe Fräulein pflückte ein paar Heidelbeeren und beschloß dann aufgrund von akuter Langeweile; wir laufen morgen bis wir nicht mehr können oder bis es dunkel wird. Die Nacht am See war schon toll und auch mit einem alten Hund fühlt man sich ein bißchen sicherer. Nach einem netten Frühstück aus Fruchtriegeln und Kaffee machten wir uns am zweiten Tag auf den Weg,
viel Wald, teilweise Kletterstrecken und dort hat man auch gemerkt, mit 16 ist die Kraft und Ausdauer doch irgendwie anders als mit 40. Während das Fräulein sich feste vorgenommen hatte in der ganzen Zeit nicht einmal geschlossene Räume zu betreten, bestand ich auf eine zivilisierte Raststätte täglich. Einmal am Tag auf ein ordentliches Klo gehen finde ich schon gut. Das haben wir immer hin gekriegt. Die hatten auch alle Biergärten, so bekam jeder was er wollte. An unserem „geplanten“ zweiten Schlafplatz sind wir dann um die Mittagszeit angekommen. Eine Stunde Pause gemacht, ein paar Nüsse gegessen und weiter bis wir nicht mehr konnten, was so ungefähr mit Einbruch der Dunkelheit passierte.
Da lagen wir, am Fuße des Brokens, bei Vollmond, an einer Kreuzung (im Sumpfgebiet was sich aber erst später bemerkbar gemacht hat). Während das liebe Fräulein auf einem Rastplatztisch gelegen und geschnarcht hat, hab ich mich nicht so wohl gefühlt, daß ich in eine echte Tiefschlafphase hätte kommen können. Am nächsten Morgen, Fluchtartiger Aufbruch, zerbissen von kleinen Fliegen, rauf auf den Broken, Fotos gemacht,
Kaffee getrunken, runter vom Broken, essen gegangen, in der Nähe des Königshütter Wasserfalls in einer Schutzhütte geschlafen.
Am nächsten Morgen wurden die Zähne ein bißchen lang beim Fruchtriegelfrühstück. Wie schnell einem die leckersten Sachen ekelig werden, wenn man nichts anderes hat. Wieder durch den Wald, durch Wiesen und durch Dörfchen, alles herzallerliebst, vor lauter gucken konnte man die blasigen Füße fast vergessen.
Die 4. und letzte Schutzhütte an der Bode war recht gemütlich, Hund hat abends noch gespielt und sich aufgeführt wie ein Welpe. Das letzte Frühstück am Montag Morgen ist mit viel bedacht eingenommen worden. Erstmal mußte man zusehen, daß man den elendigen Fruchtriegel wieder drin behält und wir waren ein bißchen erstaunt wie schnell wir vorangekommen sind. Wir haben uns wirklich alles in ruhe angeguckt, haben ca. alle 5 km mindestens eine halbe Stunde Pause gemacht und trotzdem waren wir viel, viel zu schnell. An der Bode stehen viele Geräte zum balancieren oder klettern. Man kann eine Waldolympiade machen, am letzten Tag haben wir noch mal alles mitgenommen. Die letzten 10 km waren anstrengend. Zu viele Menschen die unterwegs waren. Der Wald war nicht mehr uns alleine und wir guckten ein bißchen überheblich auf die Tageswanderer herab, die mit Minirucksäcken die Rastplätze okkupierten. Schweigend brachten wir die letzten 5 km hinter uns. Das liebe Fräulein hätte am liebsten wieder umgedreht. Wieder zurück in den Wald.
Da standen wir dann Montag Mittag am Ziel. Haben ein paar unvorzeigbare Fotos gemacht, die Wandernadeln gekauft (ein Stempel hat gefehlt zur silbernen Wandernadel) und die Harzer Hexensteig Nadel, Eis gegessen und auf Peter Pan gewartet, der uns abholen sollte.
Einen Tag vor der geplanten Ankunft.
Fertig, froh, traurig, stolz, dreckig, kaputt und glücklich.
Aber was hat das gebracht, außer, dass wir dreckig und stinkig, fix und fertig nach Hause gekommen sind. Wir waren ja nicht wirklich erholt. Aber wenn man den ganzen Tag mit dem Arsch auf einem Bürostuhl sitzt, ist Erholung im Liegen und Sitzen nicht wirklich nötig. Ich habe gemerkt, wie mein Kind mir tatsächlich blind vertraut. Selbst wenn ich mich komplett verfranzt und in Panik die Karte in meiner Hand durchgeschwitz hatte, das Fräulein war nicht aus der Ruhe zu bringen. Als ich unterm Vollmond vorm Broken lag und alle Kraft zusammen nehmen musste um meine Unterwäsche in einem korrekten Zustand zu halten, fragte ich sie ob sie gar keine Angst hat. Ich hab mir meine ja nicht anmerken lassen. Hätte ja nichts gebracht. Da meinte sie: „Nö, du bist doch da.“ Es war ein wirklich gemeinsames Erlebnis. Und ich würde es jedem ans Herz legen, zumindest mal eine Nacht mit seinem Jungen im Freien zu verbringen.