Meine Verdeutschung

Gleich vorweg, da wo ich bin will ich sein. Ich bereue die Entscheidung nach Spanien gegangen zu sein nicht. Noch nicht mal jetzt wo es kalt und regnerisch geworden ist. Das Leben auf der Finca Vegana ist toll und die Aussicht auf die Berge und die kleinen Dörfer….

Aber mir ist hier ein Phänomen untergekommen, was mich leicht erstaunt und auch amüsiert. Nämlich meine „Verdeutschung“.

In Halle wurde sich oft an Straßenbahnhaltestellen oder in Warteschlangen gefragt, warum bei uns die Türken türkischer wären, als die Türken in der Türkei. Das hat mich nie sonderlich gekratz, weil a) wir in Halle in Wirklichkeit gar nicht viele Türken hatten, dass waren meistens Kurden und b) ich einen Durchzug Automatismus habe wenn Dünnes gequatscht wird. Aber es war tatsächlich so, dass die Menschen recht traditionell waren. Aber – ich habe jetzt eine Antwort drauf.

Das passiert einfach. Da kann man gar nicht so viel daran ändern.

Ich war vielleicht eine Woche in Spanien und wachte morgens auf, mit dem Bedürfnis Rouladen mit Kartoffelknödeln und Rotkohl zu machen.

Ich lag eine weile im Bett und fragte mich, was da los ist. Als Veganer hatte ich bisher keine Lust auf dieses Menü. Auch vorher nicht als Vegetarier und selbst als Fleischesser hätte mich keiner mit einer Roulade hinterm Ofen hervorlocken können. Einmal hatte ich es vorher gemacht in einem Anfall von Verliebtheit. Mit Sojasteaks. Aber das Ergebnis war, wie erwartet, schmal. Der Aufwand hat sich nicht gelohnt. Und ein Soßentyp war ich eh nie. Woher der Durst auf braune Soße? Unter verwunderten Blicken bereitete ich deutsche Hausmanskost zu. Und das sollte nicht das letzte mal sein. Von Zwiebelkuchen über Linsensuppe bis hin zum Hefeknödel, natürlich alles vegan. Die Krönung war der Tag an dem ich nur so rumprobierte und plötzlich hatte ich einen Kartoffelplatz gebacken. Das war mir fast unheimlich.

Aber das ist noch nicht alles.

Beim Spazierengehen summe ich immer gerne vor mich hin, trällere auch mal ein Liedchen. Erstmal kennt mich hier keiner und die Akustik im Schilf ist echt cool. Und manchmal singt Jemand in meinem Kopf die Zweite Stimme. An einem besonders schönen Tag, ich mal wieder mit mir im Duett, hätte mich fast der Schlag getroffen. Woher in drei Teufels Namen kenne ich noch den Text von „Jule mach Licht“? Und vom Sperling der „unterm Dach Juchhe“ seine Jungen hat? Warum wusste ich plötzlich die Texte sämtlicher Wanderlieder und wie komme ich dazu durch die bergige Landschaft Spaniens zu laufen und Falerie Falera zu singen? Hackts?

Aber das ist noch nicht alles.

Ich steh ja nun des öfteren in der Küche. Und ich hab nicht so viele Klamotten, dass ich am Tag zwei mal das Shirt wechseln kann. Aber wenn ich so am rumprobieren bin, dann sieht das nicht mehr gut aus. Vermutlich ist deswegen die Idee gewachsen mir eine Kittelschürze zuzulegen. Und in Algodonales ist jeden Donnerstag Markttag und dort gibt es auch einen Kittelschürzenstand. Leider, leider hat sich bei spanischen Frauen die Farbe schwarz durchgesetzt, mit crazy Mustern in Neon. Das ging nicht. img_20161208_122835689Bis Anfang November. Da waren zwischen den ganzen schwarz neon Teilen zwei nette dabei. Eine lila weiß gestreifte, damit habe ich aber wie eine Damenbinde ausgesehen und eine kleinkarierte rot weiße, mit grünen Absätzen und die habe ich dann auch genommen. Kopftuch trage ich auch öfter, weil sonst meine Haare nach Küche riechen und das Essen nach meinen Haaren schmeckt. Natürlich nicht unterm Kinn zusammen gebunden, sondern so wie Witwe Bolte. Wenn ich dazu noch meine Gummistiefel trage sehe ich aus wie eine Trümmerfrau, schlecht nachkoloriert.

Aber das ist noch nicht alles.

Der Hund wird immer grauer und in letzter Zeit bekommt er ein komplett anderes Muster.

Ich sag zu Netti „Guck mal sein Fell, sieht aus als wenn er ein Schultertuch tragen würde.“ Und sie meinte „Ja, das ist der deutsche Schäferhund, der kommt jetzt irgendwie durch.“

lol

Das Blöde ist, meine Motivation Spanisch zu lernen ist ein bißchen gesunken, da ich weiß, dass ich irgendwann eh nach Deutschland zurück gehe. Also am Markt Gemüse kaufen geht noch und da komme ich auch ganz gut zurecht, wenn der Preis nicht so schnell gesagt wird. Hier möchte ich noch erwähnen, wenn ich mit holperigen Spanisch am Marktstand stehe wird mir immer freundlich weiter geholfen, wenn ich was falsch ausspreche, wird das Teil hoch gehalten und der Name langsam und deutlich auf spanisch wiederholt. Keiner guckt genervt oder rollt mit den Augen. Selbst wenn wir deutsch redend durch die Straßen gehen werden wir nicht böse angeguckt.

Die Nachrichten werden auch wieder interessanter, was geht ab zu Hause?

Und natürlich bestand das Bedürfnis andere Deutsche kennen zu lernen. Es gibt ja genügend facebook Gruppen für Menschen wie mich. Deutsche die in Spanien leben.

Da trifft man Leute. Leute, Leute.

Hier in Spanien ist einiges Anders. Und ja, die hmmmm … nennen wir es mal Bummeligkeit, der Post geht mir auch auf den Kranz. Aber, so ist das eben hier. Ein Paket kam nach 6 Wochen an, aber der Postmann hat sich für mich so gefreut, als wenn es für ihn gewesen wäre. Die Post nach Bosnien, wo mein liebes Fräulein sitzt, dauert 100 Jahre und wenn der Umschlag bunt ist, dann 1000. Und Pakete von anderen Paket-Lieferunternehmen werden gleich gar nicht an genommen. Mein liebes Fräulein hat mir direkt in Spanien was aus dem Lush bestellt und das Paket ist nicht zugestellt worden, weil die Post es eben nicht angenommen hat. Also wir müssen unsere Post direkt dort abholen weil kein Briefträger zu uns in die Pampa fährt.

Ich habe dann in einer Gruppe Deutscher mal nachgefragt, wie das so ist mit der Post. Viele sind ganz korrekt. Aber es kamen auch Antworten, meine Güte… da hätte ich gerne mal gesagt: Dann verpiss dich zurück nach Deutschland. Dich hat doch wohl keiner her bestellt.“ Aber nein, man hält sich für die Offenbarung und für ein Gottesgeschenk und schließlich geht ganz Spanien den Bach runter, wenn nicht Max Müller seine Arztpraxis dort hat. Es ist zum Fremdschämen, wirklich.

Ich bin Hals über Kopf hier her gekommen und wusste von Anfang an, dass ich wieder nach Deutschland gehen werde. Und ich lerne fast jeden Tag Spanisch. Wie zum Teufel, kann ich als Deutscher komplett nach Spanien ziehen, mit Haus kaufen und allem, also richtig auswandern und dann nach zwei Jahren immer noch nicht genug Spanisch sprechen um eine Unterhaltung zu führen.

Also bitte. Und vermutlich sind das genau solche Menschen, die sich zu Hause über die türkischen Türken aufregen und rum grummeln, wenn in einer anderen Sprache als Deutsch in der Straßenbahn geredet wird.

Spanien ist fantastisch, Spanier sind fantastisch, ich bin super glücklich hier sein zu dürfen.

Aber wenn ich wieder nach Hause komme, habe ich einen weiteren Blick auf Menschen und Dinge, auf Eigenarten und Bedürfnisse und eine Kittelschürze.

3 Gedanken zu “Meine Verdeutschung

  1. Pingback: #Liebster Award | familiendinge

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