oder nimm doch den Papa einfach mit
Davon muss ich auch noch erzählen. Meine erste, selbstorganisierte Wanderung. Das war 2012. Die erste war ja mit einem speziellen Kumpel irgendwo im Harz. Zur Einführung ins Wandern sozusagen. Das lief ganz gut, es hat mir voll Spaß gemacht und ich wollte es wieder tun.
Nun aber alleine und das wollte ich nicht im tiefen, dunklen Harz machen. Deswegen habe ich ein bißchen recherchiert und heimatnah einen Wanderweg gefunden. Den Kellerwaldsteig. Der gesamte Wanderweg, der übrigens sehr gut ausgeschildert ist, ist fast 160km lang.
Ich bin also erst mal in die Reisebuchhandlung in Halle in die Große Ulrichstraße gegangen. Dort verkauft jemand mit ganz viel Ahnung alles Vorstellbare an Kartenmaterial, Reiseberichten, Wegbeschreibungen und alles was man braucht um eine Tour zu organisieren. Mit einem kleinen gelben Wanderbuch und einer Karte konnte die Planerei los gehen. Der gesammte Wanderweg kam nicht in Frage. Also wollte ich in Bad Wildungen starten und dort auch wieder ankommen. Das wären so unter 100km und mit drei Übernachtungen ein lockerer Spaziergang. Hatte ich mir gedacht. Es sollte auf jeden Fall um den Edersee gehen und durch den Urwaldsteig.
Das ganze hatte ich für Ende April ins Auge gefasst und für mich war alles klar.
Einen Monat vorher besuchten mich meine Eltern in Halle und ich fragte, ob man mich den am Starttag vom Bahnhof in Bad Nauheim abholen könnte um mich zum Eingang zu bringen. Weil so oft sieht man sich ja nicht und wenn ich schon mal in Hessen bin…
Erst kamen besorgte Einwände bis meine Mutter der Vorschlag machte: „Nimm doch den Papa einfach mit.“ Der erste Aufschrei blieb mir im Hals stecken, denn diesen Vorschlag abzulehnen, genauso gut hätte man ein Welpen schlagen können. Denn meinem Vater schien der Gedanke mit mir und dem Hund durch den Wald zu stolpern nicht zu mißfallen. Und ich dachte nur, na dass soll was werden. Mein Vater ist ein Bastler, Tüftler und recht praktischer Mensch und somit hatte er sich vom Spazierstock bis zum Rucksack alles selber zurechtgefriemelt. Schlafen wollte er in einer Hängematte, zu deren Anbringung er einen Handbohrer und zwei Karabiner im Gepäck hatte. In meinen Träumen wurden wir vom Förster aus dem Wald geprügelt oder ich suchte in der nächsten Ortschaft nach einem Chiropraktiker der meinen Kreuzlahmen Vater aus der Hängematte pflücken musste. Aber, es sollte so sein und ich habe mich auch drauf gefreut. Deswegen standen wir dann da, voller Aufregung, für jeden Tag in einzelne Tüten eingeschweiste frische Socken und Unterhosen, damit alles schön trocken bleibt.
Als erstes gab es eine Ansage. „Wir fragen nach dem Weg. Wenn wir nicht mehr weiter wissen und treffen Menschen, dann fragen wir!!!“
Man war damit einverstanden und los gings und gleich zum Anfang wurden wir auch schon gestopt, weil wir ums verrecken nicht den Eingang gefunden haben. Wir standen da auf diesem Parkplatz, meine Mutter die uns bis hierher gebracht hatte wurde immer besorgter. Wie weit kommen die Beiden wenn sie jetzt noch nicht mal den Weg finden. Also fragten wir. Ich hatte leider vergessen, dass Männer nicht nur Schwierigkeiten damit haben nach dem Weg zu fragen, es scheint noch unmöglicher zu sein, zuzugeben, dass man den Weg nicht kennt. Also standen wir erst mal da und ein genauso planloser Herr guckte in die Karte und spekulierte und beriet sich, solange bis ich durch Zufall den Eingang fand.
Wir verabschiedeten uns. Tschüss bis Übermorgen an der Staumauer und meine Mutter nahm mir das Versprechen ab ihren Gatten heil wieder zu bringen, denn in einer knappen Woche sollte er seinen 60. Geburtstag feiern und alles war schon bestellt.
Wir trampelten also zu dritt, guten Mutes durch den schönen Kellerwald, schmetterten ein paar Wanderlieder und, was wir vorher nicht geahnt hatten, liefen durch eine Kunstausstellung. Ein paar wirklich nette Sachen standen am Wegesrand, die ich leider nicht alle zeigen kann, weil auf dem meisten Fotos ich mit drauf bin und manche Frisuren mehr als fünf Jahre brauchen bis man drüber lachen kann.
Die erste Rast machten wir auf dem „Dülfershof“ da gab es selbstgemachten Käse. Wir saßen draußen im Biergarten und ich bekam die Käseplatte und Horst nahm natürlich die Wurstplatte. Und hier machte sich ein weiterer Vorteil bemerkbar, wenn man mit einem Elternteil „Urlaub“ macht. Ich wurde eingeladen. Das macht auch mit Ende 30 noch mal voll viel Spaß, jemand anderen zahlen lassen und obendrein noch die Verantwortung abgeben. Denn ich hatte zwar alles durch geplant und durch gedacht, hatte aber viel zu viel Spaß dran als ich müde wurde, nöhlend hinter meinem Papa her zu stampfen und mit „Wie lang denn noch menno, wo müssen wir lang?“ zu nerven.
Wir fanden eine tolle Hütte und obwohl die nach allen Seiten offen war, hat es dort so gestunken und auf dem Boden lagen viel zu viele Kippen und Kronkorken, dass wir außerhalb geschlafen haben. So lange bis es angefangen hat zu regnen. Wir haben uns also mitten in der Nacht rein geflüchtet.
Am nächsten Morgen kochte jeder sein eigenes Kaffeewasser. Aus Prinzip! Ich hatte vorher schon gesagt, mein Vater könnte seinen Bundeswehr Esbit Kocher getrost zu Hause lassen, weil ich mit meinem Primus Gaskocher anrücken wollte. „Pffff.“ war alles was er dazu zu sagen hatte. Jeder hatte also jeden Tag sein eigenes Kaffeewasser gekocht und während ich hochnäsig auf den Esbit Kocher geguckt habe, tippte sich mein alter Herr mit lockerem Finger gegen sie Stirn, weil man soviel Geld für Profi Zeug ausgibt.
Nun ja, das Ergebnis war das gleiche. Jeder hatte eine Tasse heißen Kaffee. Wir marschierten weiter, durch Wälder und Felder und ich war so froh, denn mein Vater konnte a) besser Karten lesen und b) hatte einen, wahrscheinlich vom Bund trainierten, natürlichen Orientierungssinn, der mir völlig abging. Zudem kannte er natürlich die meisten Orte im Umkreis und konnte sich deswegen schon besser orientieren.
Wir kehrten ein. Das Töchterchen wurde eingeladen. Marschierten weiter. Abends gab es nochmal was in einer Gaststätte, damit man Nachts keinen Hunger bekommt und es wurde noch eine Flasche Wein mitgenommen. Wir saßen an einem Bach, in einer sehr schönen Wanderhütte, tranken Wein und schnatterten bis es dunkel wurde. Vorher gab es noch ein bißchen Hickhack bis die Hängematte hing. Aber alles war gut. Ich schlief draußen auf meiner Isomatte und als es Nachts wieder geregnet hat, legte ich mich voller Gottvertrauen unter die Hängematte. Und gucke, ich lag am Morgen noch da, ohne Quetschungen.
Am nächsten Morgen tat ich allerdings etwas, was ich nicht hätte tun sollen, was ich nie wieder tun werde und ja ich sollte besser hören wenn man mir was sagt. Ich wusch mir am Bach die Füße und zog frische Socken an. Ja mir wurde gesagt, dass man sich dann sehr schnell Blasen holt, aber wenn man unter 1,60 Meter ist, da ist die Nase verdammt nahe an den Füssen und das war nach zwei Wandertagen kein Spaß mehr. Es ging wieder los.
Erstmal kürzten wir ab, indem wir die Fähre über den Edersee nahmen. Dort hab ich dann einen meiner Wanderstöcke liegen lassen. Aber heute kam der Teil, auf den ich schon die ganze Zeit gespannt war. Der Urwaldsteig. Also wir sind den nur ein kurzes Stück gelaufen. Das ist kein befestigter Weg und wir sind manchmal ganz schön ins schwitzen gekommen.Aber die Aussicht auf die Wälder rundherum, auf den Edersee und überhaupt die uralten Bäume, das ist schon richtig schön. Also so richtig. Irgendwann kamen wir dann an die Stelle wo uns meine Mutter aufgabeln wollte. Nach ein paar Bier und Eis kam sie dann auch, lud uns ein, fuhr mich zur Brücke auf der Staumauer, und nahm meinen Wanderspezi mit in die Zivilisation.
Da stand ich dann mit dem Hund, ging über die Brücke und rein in den kleinen Ort, hier hielt ich mich fast zwei Stunden auf. Ich verlief mich andauernd. Fast hätte ich angefangen zu plärren, weil – und das ist eigentlich erschreckend – ich habe JEDEN gefragt, den ich auf der Strecke, die es sein sollte gesehen habe. Das waren Menschen die dort wohnen. Und keiner hatte was vom Kellerwaldsteig gehört. „Wanderweg? Wo solln der sein? Ne, da biste hier ganz verkehrt.“
Eine Schulklasse konnte mir dann weiter helfen. Die waren auf Klassenfahrt und hatten das selbe vor wie ich. Allerdings nicht freiwillig und schon gar nicht so lange. Nur bis zur nächsten Ortschaft. Ich lief bis zur Übernächsten Ortschaft, aber es war mehr ein schleichen, denn meine Füße taten inzwischen so weh, dass ich am liebsten keinen Schritt mehr gelaufen wäre. Niemand der mich mit Witzchen oder Anekdoten aus der Zeit wo die Bundeswehr noch eine Ernsthafte Sache gewesen ist, abgelenkt hätte. Ich bin dann auch irgendwo eingekehrt. Einfach um mal zu sitzen. Irgendwann, sind wir wieder los gehumpelt und ich habe mich kurz hinter der Ortschaft in einem Schuppen fallen lassen, der auf einem Feld stand. Im Schuppen standen Waagen und alte Heuballen, es wimmelte vor dicken Spinnen und Ratten, aber ich konnte keinen Schritt mehr laufen. Ich zog die Schuhe aus, meine Füße bestanden aus dicken Blasen und quollen sofort auf die doppelte Größe an.
Es war der erste Mai. Und ich war am Ende. Ich holte Rat per sms ein. Der ging so. „Stech sie auf und drück die Flüssigkeit raus, dann sind sie vielleicht bis morgen früh ausgetrocknet und du kannst wieder laufen. Das habe ich natürlich nicht gemacht. Ich habe mich die ganze Nacht gegruselt und sogar ein bißchen geheult, weil ich dachte ich müsste für immer in dem Rattenverseuchten Schuppen wohnen, weil ich nie wieder weg kann.
Am anderen Morgen sah es aber wieder besser aus. Ich schien Selbstheilungskräfte wie Wolverine zu haben. Trotzdem war ich erschöpft und hatte Lust auf meine Stadt. Ich hätte mich 100 mal verlaufen. Aber der Hund, der genauso die Schnauze voll hatte wie ich, witterte die nächste Stadt und führte mich zielsicher nach Bad Wildungen. Also er zog die ganze Zeit an der Leine ich bin greinend hinterher gestolpert bis er mich durch ein Gebüsch gezogen hatte und wir plötzlich im Kurpark standen. Das war schön. Schnell zum Bahnhof. Schnell nach Halle. Schnell aufs Sofa und für den Rest vom Tag nicht mehr aufgestanden. Das wars. Kellerwald. Mach ich irgendwann noch mal. Nur nicht mit draußen schlafen.
Eine wirklich schöne Geschichte, die richtig viel Spaß beim Lesen macht. Super, dass du dich auf so ein Abenteuer mit deinem Papa einlässt.
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Na, es war auch wirklich witzig mit ihm.
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