Digitaler Detox

Als ich mir 2014 mein Smartphone anschaffte, beglückwünschte mich das liebe Fräulein dazu endlich in der Gegenwart angekommen zu sein.

Und ich habe mich in die digitale Welt reingestürzt wie ein Schwein in die Schlammsuhle.

Auf Anraten hatte ich dann auch ein facebook Profil, genauso wie eins bei Pinterest und Instagram und vor allem Whats App. Ich glaube ich bin in den ersten Tagen jedem ziemlich auf die Ketten gegangen mit Bildchen und Videos verschicken. Und ich bin auch tatsächlich ein großer Fan von dem ganzen social Media Gedöns. Jeden Job und jeden Wohnplatz den ich seit 2016 hatte, habe ich über facebook gefunden.

Wie hätte ich das Jahr ohne Fräulein ausgehalten, wenn wir nicht regelmäßig Videotelefoniert hätten. Die Menschen die ich liebe sind auch in ganz Deutschland verteilt und Abends mit einem Glas Wein mit guten Freundinnen zu Skypen, hinterlässt in mir das Gefühl was „unternommen“ zu haben. Natürlich würde ich lieber mit ihnen um die Häuser ziehen, das ist aber nun mal sehr selten möglich.

Ich wollte mal einen Bekannten besuchen und der hat mir anstatt einer Adresse dann einen Link geschickt. Ich hab da angetippt und wurde von einer freundlichen Frauenstimme durch die Stadt geführt. Die wussten genau wo ich bin und das ging Ratz Fatz, da war ich da. Das liebe Fräulein meinte nur „Mama, das war google Maps, das ist eine ganz gewöhnliche Funktion, du kannst aufhören auszurasten.“ Und seit dem hat mich google Maps überall hingebracht. Sogar nach Spanien auf die Finca, wo noch nicht mal richtige Straßen hingeführt haben.

Meine paar Brocken Spanische und Italienisch haben mir Apps beigebracht und mein Eisprung wird durch eine Fanfare angekündigt.

Es gab keine Langeweile mehr, da ich immer und überall Spiel, Spaß und Überraschungen zur Verfügung hatte. Und offene Fragen gabs auch keine, da die Informationen auch immer zur Verfügung stehen.

Einmal waren das Fräulein und ich in Leipzig und wir wollten Indisch essen gehen. Sie hat einfach ihr Smartphone hoch gehalten und da hat man am Display ganz normal die Straße gesehen, allerdings waren überall die Zeichen wo was drin ist. Apotheke, Bankautomat u.s.w.. Das war auch ein Moment wo sie mich mit schmalen Lippen angeguckt hat und mir ein „Hör auf zu schreien, reiß dich zusammen!“ ins Ohr gezischt hat. Oder beim joggen hatte ich auch immer mein Smartphone in der Tasche und konnte danach genau sehen wo ich wie lange und wie schnell entlang gelaufen bin. An jedem Baum konnte man dann mit einer roten Markierung sehen, dass ich da kurz hatte stehen bleiben müssen, weil Lenny da schiffen musste. Und dann hat man das gleich bei facebook teilen können und jeder meiner Freunde konnte sehen wie krass ich unterwegs bin, weil ich jeden zweiten Tag 10 km joggen war.

Also das ganze ist eine feine, zweckmäßige Sache. Allerdings, wenn ich unterwegs war mit Hund oder Freunden, hatte ich es sehr selten mit und habe auch rigoros die Nutzung eines Smartphone untersagt, wenn ich mit jemandem verabredet war. Gut, vielleicht habe ich mal ein Auge zugedrückt wenn mein Besuch gerade frisch verliebt war, aber ständig während einer Unterhaltung aufs Smartphone gucken um Nachrichten zu checken, da habe ich ganz klare Ansagen gemacht. Sowas ist unhöflich, nervig und verschwendet meine Zeit.

Und wenn man morgens durch die Stadt fährt und wirklich alle hängen an ihrem Smartphone, dann hat das schon was gruseliges. Aber mich hats auch nicht wirklich gejuckt.

Was mich allerdings gejuckt hat, waren Auswirkungen, die ich so nach und nach bei mir bemerkt habe.

Zum einschlafen habe ich mein Smartphone neben meinem Kissen liegen gehabt, weil ich Hörspiele gehört habe. Mein Schlaf war unruhiger und ich habe zum Schluß nicht mehr geträumt.

Ich habe ganz viele kurze Videoclips geguckt. Manchmal nur die besten Szenen von einer ganzen Serie. Meine Aufmerksamkeitsspanne war am Ende wie die von einem Kleinkind. Ich konnte keinen 90 Minuten Film mehr gucken ohne Szenen die mich gelangweilt haben schnell mal zu überspringen. Wenn ich mit jemandem ein Film geguckt habe und nicht ständig springen durfte, habe ich angefangen auf facebook zu gucken, sobald ein Dialog im Film länger als 30 Sekunden gedauert hat oder nur Bilder ohne große Handlung gezeigt wurden.

Meine Konzentration war quasi nicht mehr vorhanden. Längere Texte lesen, sei es ein Buch, Blog oder ein Artikel in der Apothekenschau, war nicht mehr möglich. Es hat mich so angestrengt, dass ich nach einer halben Seite sabbernd eingeschlafen bin oder ich wusste am Ende nicht mehr was am Anfang stande. Ich konnte den Sinn und Zweck von etwas anspruchsvollen Texten nur mit großer Mühe und drei Tassen Kaffee erfassen.

Dieses Überprüfen von Informationen während einer Unterhaltung hat mich schon immer richtig abgenervt. Man kommt und sagt z.B. „Hier Kochkäse, gabs im Penny für 1,10€“ Alle holen ihre Handys sofort raus und der eine sagt dann „Im real gabs den gleichen für 99 Cent“ der nächste sagt „Der Kümmel von der Marke besteht aus genmaipuliertem Aluminium.“ und der dritte sagt „Auf Pinterest hat jemand eine Kochkäse Skulptur gebaut, hier guck mal.“

Informationen die immer sofort zur Verfügung stehen scheinen auch keinen Wert mehr zu haben. Noch nicht mal soviel, dass man sie sich merken muss. So schnell wie ich irgendwas recherchiert habe, so schnell hatte ich es wieder vergessen. Man muss sich ja noch nicht mal die Mühe machen sich etwas zu merken, weil man ja zu jeder Zeit die Information wieder beschaffen kann.

Mein Kurzzeitgedächtnis war genauso am Arsch wie meine Konzentration.

Man recherchiert irgend was, guckt dann ein Video dazu, bekommt ein anderes empfohlen, erhält da wieder Informationen, die man mal schnell auf Wikipedia zusammengefasst ließt, und kommt von einem Link zum nächsten. Man wollte vielleicht nur noch mal gucken wie man eine Ferse strickt und landet zwei Stunden später auf einer Petition gegen Schafsmisshandlung auf Neuseeland.

Die Zeit die ich aus Versehen verbummelt habe kann mir auch keiner wieder zurück geben.

Es gibt da noch andere Themen, aber die sind dann ein „Aufreger des Monats“

Über die ganzen Nebenwirkungen habe ich mich ja nicht wirklich aufgeregt. Ich war nur erschrocken und habe dann die Rauhnächte zu einem digitalen Detox genutzt. Ich habe ganz konsequent auf Youtube verzichtet und kein facebook genutzt.

Ein paar Sachen werde ich beibehalten.

Ich höre keine Hörspiele mehr beim einschlafen und lese jetzt wieder. Bereits in der zweiten Nacht konnte ich durchschlafen und war am nächsten Morgen merkbar ausgeruhter.

Ich habe jetzt ein gewöhnliches Tastenhandy, ich nehme mein Smartphone nirgendwo mit hin. Mein Gedächtnis arbeitet wieder. Ich bin insgesamt aufmerksamer geworden.

Ich versuche Langeweile zu kultivieren, es auszuhalten mal 5 Minuten auf die Bahn zu warten ohne die Erwartung zu haben sofort zu unterhalten und bespaßt zu werden.

Ich kann mich wieder konzentrieren ohne gleich vollkommen kaputt einzuschlafen.

Es hat zwar für einige Aufregung gesorgt, zu sagen, dass ich unterwegs nur noch telefonisch zu erreichen bin. Und auf Whats App Nachrichten nur noch Abends reagieren kann. Aber tatsächlich – es war bisher noch nie was so wichtig, dass mich jemand angerufen hätte.

Und auf Videos oder Kettenbriefe reagiere ich sowieso nicht. Werden meistens sofort gelöscht, noch bevor sie runtergeladen werden.

Insgesamt, hat der digitale Detox meine Lebensqualität verbessert. Und es gibt genug Youtube Viedeos, die das bestätigen.

2 Gedanken zu “Digitaler Detox

  1. Hallo Tanja,
    Find ich gut was du da machst. Weniger am Handy zu tun möchte ich auch. Aber das ist nicht leicht.

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