Sie merkt nie, wie Morpheus sie sanft aus seinen Armen schiebt, in denen sie gerade noch watteweich gelegen hat. Ihr wird bewusst, dass sie wach sein muss, weil sie das ticken der Uhr hört und dann bemerkt sie ihre kalte Nasenspitze und ihr kaltes Gesicht. Langsam öffnet sie die Augen die als erstes nach ihrem Orientierungspunkt suchen. Das kleine Fenster ist durch die nahe Straßenlaterne hell erleuchtet und durch die gelb-orange gebatikte Vorhänge sieht es mit ein bißchen guten Willen aus wie warmer Sonnenschein. Aber das kleine Bullauge lässt gerade genug Licht herein um ihren Atem schön sichtbar vor ihren Augen gen Dach steigen zu lassen. Und wie jeden Morgen versucht sie ein paar Sekunden Atemkringel zu machen. Wie Rauchkringel, nur Kalt und fast geruchsneutral. Eine der Katzen liegt schwer auf ihrer Bettdecke, scheinbar nur um ihr das Aufstehen zu verleiden. Aber es hilft nichts. Frieda Flieder ist jetzt wach. Der Kuckuck über der Türe unterstützt sie mit einem geröcheltem „Kuckuck“, gleich sechs mal hintereinander. Sechs Uhr, eine gute Zeit um wach zu werden. Mit einem leisen Seufzer windet sich Frieda unter der Katze, zwei Wolldecken und ihrer Bettdecke hervor, greift zu ihrem gefütterten Morgenmantel und schlüpft hinein. Im Küchenherd ist noch Glut. Das Paket Kohlen, dass sie von ihrer Kollegin beim Weihnachts-Wichteln bekommen hat, muss von vorzüglicher Qualität sein. Sie betätigt den Hebel am Aschenkasten und die Glut leuchtet noch mal auf. Allein vom Anblick wird ihr warm und sie merkt wie ihre Nasenspitze auftaut. Rasch wirft sie ein paar trockene Rindenstücke und das passenden Holz in die Luke und beobachtet, wie schnell es Feuer fängt und bald ist ein regelrechtes Inferno in dem kleinen Ofen. In der kleinen Küchenecke befüllt sie ihren grünen emaillierten Wasserkessel mit kaltem Wasser und rückt ihn auf die Herd Platte. Das Feuer wirft seinen warmen unruhigen Schein durch die Ringe des Herdofens und es zeichnen sich glutrote Kringel an der Decke ab. Frieda wird bewusst, dass sich ihr ganzer Körper vor Kälte zusammengekrampft hat. Sie schaut auf ihr Thermometerhäuschen, dass neben der Türe hängt, das Schwarzwaldmädel mit den roten Bommeln am Hut steht lächelnd vor dem kleinen Haus und das Thermometer steht auf 8 Grad. Frieda blickt nochmals seufzend auf ihre Katze, die zusammengerollt auf ihrem Bett liegt und mit einem weiteren Seufzer zur anderen Katze, die zusammengerollt in ihrem Handarbeitskorb liegt, steigt in ihre Moonboots, zieht ihren warmen Morgenmantel aus, lässt ihre Schultern ein paar mal locker kreisen und öffnet ihre Türe.
Die Luft im Vorraum ist schneidend kalt und Frieda hält kurz den Atem an, als sie die Wagentüre auf klappt. Der Wind weht in Intervallen nasse Luft über den Platz. Die Straßenlaternen lassen Pfützen glitzern und Autoscheinwerfer leuchten immer wieder durch die kahle Hecke. Frieda geht vorsichtig die zwei nassen Stufen runter und schlägt ohne sich umzuschauen den Weg hinter ihren Wagen ein. Sie öffnet eine Holztüre, betritt den winzigen Raum und schließt die Türe schnell hinter sich. Bevor sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnen können, betätigt sie den Lichtschalter und augenblicklich verströmt der Kronleuchter ein warmes behagliches Licht. Schnell löst sie mit einer Hand das Band ihrer Jogginghose, während sie mit der anderen den Deckel hebt. Nur schweren Herzens lässt sie ihre Hosen runter und hält ihren immer kälter werdenden Po über die Trockentoilette. Warm läuft es aus ihr hinaus und trotz der Kälte von Außen, entspannt sich ihr Körper langsam. Und sie seufzt wieder, aber zum letzten mal an diesem Tag.
Beschwingt zieht sie ihre Hose wieder hoch, löscht das Licht und verlässt ihr Klohäuschen. Gut gelaunt geht sie schnell zurück in ihren Wagen, in dem es ihr jetzt mollih warm vorkommt. Sie schaltet die Stehlampe neben ihrem Schaukelstuhl an und mit einem Griff zum Wasserkessel prüft sie die Wahrscheinlichkeit auf eine Tasse Kaffee. Zufrieden stellt sie fest, dass die Wahrscheinlichkeit in fünfzehn Minuten bei 100% liegen sollte und nimmt ihre blau weiß gestreifte Kaffeetasse aus dem Spülbecken um einen Löffel Kaffeepulver direkt in die Tasse zu füllen. Während sie auf das Pfeifen des Kessels wartet blickt sie sich in ihrem Reich um. Alles wirklich Unangenehme, dass sie von diesem Tag erwarten kann, hat sie jetzt hinter sich gebracht. Sie geht zu ihrem Bett und drückt der Katze einen Kuss auf das weiche Fell, am blauen Wollfaden um den Hals erkennt sie Mietzbert. Das ihr Fell eine Nuance rötlicher getigert ist, erkennt man nur bei Tageslicht. Leisemiep liegt also mit einem rosa Wollfaden in ihrem Korb, zwischen den Wollknäueln. Auch sie bekommt einen Kuss aufgedrückt. Der Kessel fängt leise an zu singen. Frieda genießt kurz das feine pfeifen und bevor es schrill durch ihren Wagen kreischt, nimmt sie den Kessel vom Ofen und gießt das kochende Wasser in ihre Tasse. Sie setzt sich in ihren Schaukelstuhl, streift die Moonboots von den Füssen, legt diese dann auf die Stange am Küchenherd, lehnt sich zurück und pustet in ihren dampfenden Kaffee. Der Tag kann beginnen. Schön gemächlich und langsam. Versonnen betrachtet sie die Strümpfe an ihren Füssen. Welche aus ihren Anfangszeiten. Die Spitze sieht aus als wenn man ihre Fußspitzen einfach abgehackt hätte. Inzwischen bekommt sie das schön rund hin. Aber diese halten eben, trotz Abnahmefehler an der Spitze, seit fast fünf Jahren und erinnern sie an einen Sommer voller Erdbeerkuchen als Agnes, Steffi und sie einen Roten Kreuz Sack voller Wollreste neben einem Altkleidercontainer fanden und Auf Youtube und Pinterest nach einer leicht verständlichen, einfachen Anleitung für Socken gesucht haben. Letztendlich hatte Frau Sperling aus dem Garten direkt nebenan ein abgegriffenes Burdaheft aus den 80ern, mit der perfekten Anleitung, vorbei gebracht und als sie merkte, dass Frieda nach ihrem ersten paar Strümpfen immer noch Spaß am stricken hatte, verriet sie auch den Trick der runden Spitze und legte noch mal eine Tüte Wollreste oben drauf. Ihre Augen ließen ein Strümpfe stricken nicht mehr zu.
Frieda griff nach ihrem ebook und schaltete es an. Am Kaffee nippend und schaukelnd vertiefte sie sich in ein Buch von Khaled Hosseini und wartete auf den Sonnenaufgang.
Es wird nicht wirklich hell. Grau und trübe prasseln immer wieder Regenböen an das kleine Fenster über dem Spülbecken. Leisemiep und Mietzbert wollen trotzdem raus und sitzen mittlerweile vor der Türe. Sie werden wieder den ganzen Tag damit beschäftigt sein die Mäusepopulation in den umliegenden Gärten zu dezimieren. Frieda legt ihr ebook beiseite und steht auf um die Türe schnell zu öffnen. Die Katzen drängeln nach draußen, zögern kurz an der Türschwelle und huschen dann außer Sichtweite.
Frieda schüttet sich die letzten Müslireste in die Schale mit bunten Sternchen. Im Kühlschrank steht noch ein letzter Rest Mandelmilch den sie über ihre gebackenen Haferflocken gießt. Mit einem frischen Kaffee und ihrer Schale setzt sie sich an den kleinen Tisch und frühstückt jetzt richtig. Sie tut das immer erst nach der ersten Tasse Kaffee und nachdem die Katzen den Wagen verlassen haben. Die fordernden Blicke der beiden Samtpfoten wenn sie etwas aus einer Schale mit Milch löffelt ist nervtötend.
Die Feiertage, die sie größtenteils bei ihrer Schwester oder ihren Freundinnen verbracht hat, sind vorbei. Sie genießt jedes Jahr die Auszeit und sitzt dann auch gerne mal in Wohnungen mit Zentralheizung, lässt sich ein Bad ein und freut sich von ganzem Herzen über jedes bißchen Luxus, dass für andere zu einer alltäglichen Selbstverständlichkeit verkommen ist. Aber eigentlich ist diese Auszeit ein Schwung holen, für einen Neustart. Alles nochmal von vorne, nur noch besser. Und wenn Steffi nicht mit Engelszungen auf sie eingeredet hätte, wäre sie schon gleich am ersten Januar zurück in ihren Bauwagen gefahren um den Frühjahrsputz zu planen oder den Garten um zu graben. Aber ihre Schwester, der Bodenfrost und ihr Verstand bremsten ihren Tatendrang ein wenig aus. Also verbrachte sie brav die Ankunft der heiligen drei Könige in einer geräumigen Wohnung, konnte dort ohne Moonboots aufs Klo gehen und nahm dafür gerne die Gesellschaft ihrer Schwester und ihres Mannes in kauf.
Aber jetzt mussten vor dem Wochenende die Vorräte aufgefüllt und ihre Termine organisiert werden.
Zwei Tage vor dem heiligen Abend, feierte sie mit Freunden ein Weihnachtsfest wo das letzte mal der Grill angeworfen wurde und alle mit einem Glühwein in der Hand im Bauwagen saßen. Alle ihre Lieblingsmenschen, die sich im Sommer in ihrem Garten mit Erdbeerkuchen füttern lassen, kommen traditionell zur „Tschüss Bauwagen“ Party, helfen beim Abdichten, packen und dann wird Frieda bis zum neuen Jahr rumgereicht. Für sie der perfekte Urlaub. Sie übernachtet mal eine Nacht auf einem Sofa, oder in einem Kinderzimmer und ihre Schwester hat sogar ein Gästezimmer, in dem sonst die Bügelwäsche steht.
Während Frieda mit Koriander und Kreuzkümmel gewürzte Haferflockenbratlinge und mit Rosmarin bestreute Bohnenbratlinge in selbstgebackene Burgerbrötchen verteilte, legten ihre Gäste Geschenke in den Bauwagen, für die sie sich zwar schon bedankt und mit Freude betrachtet hat, sich aber noch keine Zeit nehmen konnte.
Im Gegenzug verteilte Frieda selbstgemachte Marmelade, selbstgebrauten Wein oder Kräuterschnaps, gestrickte Fäustlinge oder Schals.
Mit dem Mund voll Müsli inspiziert sie gewissenhaft zwei Knäuel bunte Strumpfwolle die in einem bunten Geschirrtuch eingewickelt sind. Ein Gutschein für einen online Buchhandel ist in einem Stofftaschentuch verpackt und in einem weiteren Geschirrtuch versteckt sich ein kleiner Karton mit Safranfäden, Zimtstangen und anderen Gewürzen. Erleichtert stellt Frieda fest, dass jemand an Waschsoda und Kernseife gedacht hat und das auch noch in einen richtigen Putzlappen gewickelt hat, der mit Holzwäscheklammern zusammengehalten wird.
Auf den Holzwäscheklammern hat Micha mit viel Geduld und einem Lötkolpen „Frieda Ihre“ eingebrannt.
Als Frieda vor ein paar Jahren beschloss alles anders zu machen, standen ihre Freunde zwar hinter ihr, aber außerdem auf dem Schlauch. Sie weigerte sich beharrlich in extra gekauftes Papier eingewickelte Unnötigkeiten an zu nehmen, da ihr Bauwagen nicht den Platz hatte um tausenderlei Nippes auf zu stellen und man fest stellen musste, Frieda hat, wie die meisten Menschen in ihrem Umkreis, Alles was sie braucht und obendrein davon noch zu viel. Aber erstens wollte man es sich nicht entgehen lassen von Frieda beschenkt zu werden und zum zweiten, musste man sich einfach mit freuen wenn sie sich freute und all ihre Lieblingsmenschen bekamen den besonderen Blick für Dinge die jemand wie Frieda Flieder brauchen könnte. Und anstatt Figuren, Vasen, Tassen mit Sprüchen oder Modeschmuck, waren es nun Samentütchen mit besonderen Gemüse oder Blumensorten, mal einen guten fairtrade Kaffee, eine handgeschöpfte Bitterschokolade mit Bergblüten oder eben Gewürze oder eine besonders schöne Schnur für den Garten, oder für was auch immer Frieda meterweise Schnur brauchte. Den ganzen Sommer über hatte sie immer zwei Knäuel in ihrer Schürze.
Und alles wurde jetzt in Geschirrtücher eingewickelt. Kein Geschenkpapier mehr. Das nahm langsam überhand und als es so viele waren, dass sie sich nicht mehr stapeln ließen, wickelte Frieda ihre Geschenke nicht mehr in bemaltes Zeitungspapier, sondern auch in Geschirrtücher. Und alle ihre Freunde wickelten alles in Geschirrtücher und so waren auch diesmal zwei dabei, ein kariertes mit kleinen Vögeln die Vielsprachig „guten Morgen“ zwitscherten und eins mit rosa Streublümchen und Herzchen, die sie schon ein paar mal bekommen hatte. Aus dem mit den Herzchen hatte sie zu ihrem Geburtstag im Juni eine Großpackung Brause und Papiertrinkhalme ausgepackt, im Oktober ein Glas Kürbis-Chutney eingewickelt um es an Agnes weiter zu geben und nun hatte sie es wieder auf dem Tisch stehen, fest um eine Tüte Vollkornmehl von Lindenhof gewickelt. Holz und Kohlen hatte sie tatsächlich so viel Geschenkt bekommen, dass sie bis in dem Mai anheizen konnte und der Einkaufszettel ist jetzt dafür sehr übersichtlich.
Frieda stellt ihre Tasse und die leere Müslischale in die Spüle und legt noch mal Holz nach. Dann schält sie sich aus ihrem himmelblauen Jogginganzug, der bei diesen Temperaturen als Schlafanzug herhalten muss, zieht sich die Mütze vom Kopf und betrachtet sich im Spiegel über dem Spülbecken.
Die Haare liegen fluffig, auch die Grauen, die über die Feiertage nicht weniger geworden sind. die Lachfalten haben sich nicht geglättet, dafür hat sie während der Feiertage viel zu viel gelacht und meine Güte, mit über 40 hat man ein Recht auf Falten, dafür gibt’s keine Pickel. An und für sich ist sie zufrieden, absolviert eine Katzenwäsche mit warmen Wasser aus dem Kessel.
Mit nackten Füssen die inzwischen schon wieder durchgefroren sind, steht sie auf dem bunten Flickenteppich, den sie im Sommer vor zwei Jahren aus alten T-Shirt Streifen gewebt hat und sucht in ihrer Kleidertruhe nach ihrer Thermounterwäsche. Wenn sie gleich mit dem Rad durch die Stadt braust, will sie gut eingepackt und nicht von der Kälte getrieben werden.
Es braucht doch ein bißchen Kraft die Jeans zu schließen wenn eine lange Unterhose ihren Umfang etwas vergrößert. Das Problem gab es vor ihrem Urlaub noch nicht. Steffis Fritteuse musste bis nächsten Winter verschwinden. Sie schlüpft in einen rot weiß gestreiften Sweater und zieht ein Mais-gelbes, kurzärmeliges Fleacekleid drüber. Schürzen- oder Hängekleider in allen Farben und Mustern sind, nach einer schmerzhaften Nierenbecken-Enentzündung zu ihrem Markenzeichen geworden. Ihre Oma hätte ihr „schön warmes Untenrum“ mit Wohlwollen betrachtet. Von dieser Nierenbecken-Entzündung wurde Frieda nämlich von ihr gewarnt, seit sie sich zum ersten mal auf die Steintreppe vor der Haustüre gesetzt hatte. Außerdem vor Unfruchtbarkeit und, was Frieda am schlimmsten fand, vor richtig krassen Hämorriden.
Sie blickt aus dem Fenster über dem Sofa, der Regen hat eine kurze Pause eingelegt. Sie nimmt eine pinke Skijacke und eine Taschenlampe vom Garderobenhaken. Mit der Leuchte zwischen den Zähne, zieht sie sich die Jacke an, während sie auf den nasskalten Gartenplatz schreitet. Schnell huscht sie hinter den Wagen, wo zwischen zwei Haselnusssträuchern ein kleiner Erdhügel, bedeckt mit einem Stück LKW Plane, aufgeschüttet liegt. Rasch schlägt Frieda die Plane zurück und schiebt ein altes Türblatt, das sich unter der Plane versteckt zur Seite. Darunter kommt eine 1,50m hohe Höhle zum Vorschein, auf dem Boden liegen Bretter alter Paletten und trotz Regen ist es recht trocken geblieben. Michas Erdkeller Konstruktion hält schon lange und hat sich bewährt. Sie geht die zwei Sprossen einer alten Hochbettleiter runter und leuchtet mit ihrer Taschenlampe in den drei Meter langen und 1,50 Meter breiten Gang hinein. Ihre Gemüsekisten sehen noch immer gut aus, Die Kartoffelstiege ist noch zu einem drittel gefüllt und der Inhalt sieht auch noch frisch aus, genau wie die Möhrenkiste und die beiden Apfelkisten. Kein fauler Apfel hat seine Kameraden zum mit faulenzen animiert, alle liegen brav und glänzend nebeneinander in ihren Kisten. Gebückt geht sie bis zum Ende durch, wo ein tiefes Regal ihren Vorrat an Gläsern mit Chutneys, Marmeladen, Soßen, Weinflaschen und vieles mehr beinhaltet. Wobei die Weinflaschen mittlerweile doch schon übersichtlich geworden sind. Mit klammen Fingern angelt sie nach zwei dicken Kartoffeln, zieht sich eine Möhre aus dem Sand, entscheidet sich für ein Glas Pflaumenmarmelade und verlässt eilig ihren Erdkeller.
Zurück im Wagen verrät ein leuchtender Display, dass jemand an sie gedacht hat. Sie greift nach ihrem Mobiltelefon und das Bild einer freundlich blickenden Frau, mit Brille und hellgrauer Bluse, sowie sorgsam frisierten dunkelbraunen Haaren, verrät ihr, dass Agnes angerufen hatte.
Frieda drückt auf Rückruf und wartet, bis nach drei Rufzeichen ihre Freundin ans Telefon geht.
„Frieda? Gehst du heute in die Stadt?“
„Ich brauche noch ein paar Sachen, ja.“
„Waschhaus?“
„Brauche ich nicht, habe schon alles bei Steffi gewaschen und getrocknet. Das ist erst mal erledigt.“
In der Stadt gab es zwar ein paar Waschsalons, aber Frieda fuhr gerne den längeren Weg ins Mühlwegviertel, weil es dort das Waschhaus gab. Hier hatten die Waschmaschinen und Trockner Namen und man konnte in der dazugehörigen Minikneipe eine Suppe oder ein Sandwich essen oder einen Kaffee trinken. Und dort traf sie sich dann meist mit Agnes, die im Völkerkunde Museum schräg gegenüber arbeitet.
„Och schade, kann ich heute mal vorbei kommen?“
„Ist was schlimmes?“
„Nein, ich brauche nur eine Tasse Tee und kurz Ruhe.“
„Gerne.“
Frieda lässt einen kritischen Blick durch ihr Reich schweifen, vervollständigt ihren Einkaufszettel, legt noch eine Kohle nach und verlässt nochmals den Wagen. Ihr Fahrrad ist am Zaun angeschlossen und wird auch von einer alten Zeltplane trocken gehalten. Sie zieht die Plane ab, lässt sie am Zaun hängen und schwingt sich auf ihr altes Damenrad um direkt ins Netto zu fahren. Hefe, Haferflocken, Zuckerrübensirup bekommt sie hier. Für Natron und Heilerde muss sie dann doch noch mal in den nächsten Drogeriemarkt fahren, aber der Regen pausiert immer noch und im Anbetracht ihres engen Jeansbundes der ihr auf den Bauch drückt, findet sie, dass es vollkommen ok ist.
*
Während Götz Alsmann durch die Box mitteilt, dass man am besten ganz leicht küssen sollte, hat der Hefeteig in der weißen Emailschüssel mit blauem Rand, schon ein beachtliches Ausmaß angenommen. In der Backröhre röstet gerade ein neues Nussmüsli aromatisch vor sich hin und auf dem Herd steht ein Topf, auf dem die Kartoffeln und Möhren vor sich hin dämpfen. Frieda schüttet gerade eine Portion Sojabohnen zum einweichen in eine Schüssel, als es an der Türe klopft.
„Es ist offen!“
Agnes kommt rein, sie trägt einen grauen Hosenanzug und eine schwarze Softshel Jacke, die sie nun auszieht und an die Garderobe hängt. Ihr Stiefel lässt sie in dem kleinen Vorraum stehen um dort in ausgelatschte Gästepantoffeln zu steigen. Schweigend kommt sie rein, umarmt kurz ihre Freundin und lässt sich seufzend in den Schaukelstuhl fallen.
„Sag nicht, dass du schon wieder im Stress bist, dass Jahr hat erst angefangen und du siehst schon wieder aus, als wenn du fällig für den nächsten Urlaub wärst.“
„Und du siehst aus, als wenn du gerade aus dem Urlaub kommen würdest.“
„Komm ich ja auch. Ich war bis gestern bei meiner Schwester und davor bei den üblichen Verdächtigen. Den ganzen Tag im warmen sitzen, essen und spazieren gehen ist nicht wirklich anstrengend.“
„Ach komm.“
„Ja, vielleicht war ich der zehnten Runde Uno mit Connys Jungs nicht mehr ganz so entspannt, aber an und für sich, alles schick.“
„Du lässt dich eben nicht stressen, weil du nur machst was dir in den Kram passt.“
Frieda nimmt eine Tasse mit bunten Eulen aus dem kleinen Küchenschrank, hängt einen Beutel Kräutertee rein und kippt heißes Wasser aus dem Kessel drauf.
Schmunzeln reicht sie ihrer Freundin die Tasse und setzt sich auf die Holztruhe neben dem Schaukelstuhl.
„Das klingt ja recht rücksichtslos. Willst du mich nicht mal ein bißchen stressen, damit es wieder ausgeglichen ist?“
Grinsend blitzt Agnes zu Frieda. „Du fährst morgen zu meinen Eltern und ich setze mich hier in den Schaukelstuhl und lese ein bißchen und trinke Tee und höre Musik und glotze aus dem Fenster.“
Frieda nimmt das Blech Nussmüsli aus der Röhre und schüttet es über ein Tablett zum abkühlen aus.
Agnes schaukelt, blickt aus dem Fenster und redet mit Frieda und sich selbst. „Ich war vor Weihnachten da, zum ersten Weihnachtsfeiertag war ich da, am zweiten waren sie bei mir, vor Silvester war ich mit ihr einkaufen, am Neujahrstag war ich da und Vorgestern war ich zum Essen eingeladen, weil es ein Feiertag war, dabei ist sie noch nicht mal katholisch, warum will sie auf einmal heilige drei Könige feiern und nach dem Essen sagt sie, dass sie mich am Samstag Abend bekochen will und ich soll schon am Mittag kommen und ihr in der Küche helfen. Mein Vater vorm Fernseher und ich stehe mit Mama in der Küche und schäle Kartoffeln und sie zählt mir die Zipperlein von ihren Freundinnen auf.“
Frieda bepinselt den Brotteig mit einem Gemisch aus Zuckerrübensirup und Bier, prüft die Temperatur, schiebt ein paar Holzstücke in die Feuerluke und das Brot in die Backröhre.
„Sie ist doch noch nicht alt. Meine Güte sie ist mitte 60 und kerngesund, ich dachte ja am Anfang, dass sie vielleicht nicht mehr lange macht und deswegen so anhänglich geworden ist. Seit Papa in Rente ist, ist das richtig nervig geworden. Ich hatte seit Weihnachten keinen einzigen Tag für mich. Ich habe zu Weihnachten einen Stapel Nordseekrimis geschenkt bekommen und noch in keinen rein geguckt.“ wütend nippt Agnes an ihrer Tasse.
Frieda nimmt ihr Gemüse vom Herd und gibt einen kleinen Löffel Kreuzkümmel in den Mörser.
„Ihre Freundinnen bekommen doch auch nicht ständig Besuch von ihren Kindern, die Hälfte ihrer Freundinnen hat überhaupt keine.“
Schweigend und bedächtig zerreibt Frieda das aromatische Gewürz und atmet den ausströmenden Duft ein.
„Ich ruf sie einfach an und sage, dass ich nicht komme. Ich brauche dieses Wochenende für mich. Sie kann nicht einfach so meine Zeit beschlagnahmen.“ schimpft Agnes die Eulen auf ihrer Tasse.
„Na Moment mal,“ meldet sich Frieda jetzt doch zu Wort. „Vielleicht hat sie auch nur das Gefühl, dass sie das tun muss. Du sagst ja immer sofort zu. Das lässt es ja so aussehen, als wenn du darauf wartest, weil du sonst nichts besseres zu tun hast. Vielleicht denkt sie ja, dass du deswegen ganz scharf drauf bist und fühlt sich verpflichtet, weil sie deine Mutter ist.“
Verlegen blickt Agnes zu ihrer Freundin. „Na das wär´s ja.“
Frieda grinst Agnes an, die trinkt ihre Tasse aus, stellt sie ab und steht auf.
„Voila.“ ruft sie und zeigt an sich runter „Tasse Tee im Bauwagen und, tata, entstresst und entschleunigt.“
„Aber immer doch.“ lacht Frieda, schüttet ein paar Löffel frisches Müsli in ein Cellophantütchen, bindet ein Stück bunte Schnur darum und reicht es rüber.
„Danke.“ sagt Agnes, zieht ihre Winterjacke an, steckt das Tütchen ein und drückt ihre Freundin zum Abschied fest an sich.
„Bis bald. Und du weißt, wenn es hier zu kalt ist, dann kannst du jederzeit kommen.“
„Das weiß ich.“ lächelt Frieda und winkt ihrer Freundin zum Abschied, als diese durch die Türe verschwindet.
Durch das Fenster über dem Sofa sieht Frieda wie Agnes bereits das Telefon an ihr Ohr drückt und dabei auf den Ausgang zu läuft, wo ihr Auto am Straßenrand geparkt steht.
Nach einem gewaltigen Streit mit dem Vermieter ihrer früheren Wohnung, in dem es um einen schimmeligen Einbauschrank ging, den Frieda angeblich zu dicht vor die Wand gestellt und deswegen keine Luftzirkulation ermöglicht hatte, kündigte sie in einem Trotzanfall die Wohnung in der August-Bebel Straße und zahlte auch nur noch die Nebenkosten, weil sie sich im Klaren war, dass sie die Kaution in ihrem ganzen Leben nie zurück bekommen würde. Sie bekam Besuch von einem Hausmeister, der ganz schüchtern und später dann vom Hausverwalter selber, der drohend darauf aufmerksam machte, dass man das so nicht machen könnte. Sehr viel später bekam sie eine Rechnung von ihrer Hausverwaltung über die drei Monatsmieten und über die Renovierungskosten, da die Kaution diese nicht abdeckten.
Zwei Wochen später kam ein Schreiben von einem Anwalt. Dieser bekam dann Fotos von der schimmeligen Wand, Friedas verdorbener Schrankwand und eine kurze Übersicht des Mailverkehrs, zusammen mit einem Einspruch und fortan meldete sich niemand mehr.
Zeitgleich mit ihrer Krise, stürzte ihr Arbeitgeber in eine noch viel Größere und an dem Tag, als sie die Wohnung kündigte, bot ihr Chef eine Abfindung von drei Monatsgehältern, wenn sie sich freiwillig und ohne viel Tamtam dem Sparmaßnahmen beugen würde. Nach erfolgreichem feilschen bekam sie nicht nur die Abfindung, sondern durfte auch sofort gehen und wurde für den Rest des Monats frei gestellt. Sie ging zurück an ihren Schreibtisch, fuhr ihren Computer herunter, räumte ihren Schreibtisch und sagte ihren Kollegen Lebewohl. Sie verließ das Gebäude erhobenen Hauptes um anschließend zwei Tage bei Micha auf dem Sofa zu sitzen und sich die Augen aus dem Kopf zu heulen.
Bei einem gemeinsamen Spaziergang, als sie sich mal wieder durch die Stadt treiben lies und nach Stunden in einem etwas runtergekommenem Viertel landete, entdeckte sie ein Stück brach liegende Fläche, zwischen einem Kleingartenverein und einer Autowaschanlage. Das blaue Gartentor war mit Brombeerranken zugewuchert und das Schloss vollkommen verrostet. Eben noch war sie stehen geblieben um einen erneuten Heulkrampf zu erleiden und sich von, dem mittlerweile recht verzweifeltem, Micha ein neues Taschentuch reichen zu lassen. Im nächsten Moment wurde sie von dem Tor magisch angezogen.
Sie rüttelten an der Kette, die in den Schmutz fiel, zerrten an dem Tor bis sich beide durch quetschen konnten und standen plötzlich auf einem zugewachsenem, sehr schlecht betonierten Platz, auf dem ein alter Bauwagen stand. Rechts ging die Wand der Waschanlage hoch und links stand ein ziemlich runter getretener Maschendrahtzaun, der eine unbenutzte Parzelle der Kleingartenanlage abtrennte. Am nächsten Tag war Frieda Pächterin von zwei Grundstücken. Die Vereinsmitglieder des Kleingartenvereins überließen für 80€ Jährlich den Garten, den seit Jahren niemand haben wollte und der zu einem regelrechten Schandfleck verwachsen ist und ein glücklicher Autowaschanlagen Besitzer verpachtete für 300€ Jahresbeitrag den kleinen Streifen, für den er keine Baugenehmigung bekommen sollte und der somit nie Gewinn oder einen Nutzen einbrachte. Den Bauwagen gab es gratis dazu und man beteiligte sich sogar an den Kosten für einen Container, der bei der Räumung des Grundstückes gefüllt wurde.
Während ihre Kolleginnen nun ihre Arbeit mit machen durften, schuftete sich Frieda, unterstützt von Freunden, die Finger blutig. Ihr Vermieter wartete mit wütenden Briefen vor ihrer Wohnung und sie lag mit einer Weißweinschorle in einer Hängematte.
In der Zeit die ihr Vater mit dem Bauwagen abdämmen verbrachte und einen alten Küchenofen, der bei einer Tante in der Waschküche stand, einbaute, legte Frieda Beete an. Schnitt die Hecken und restaurierte eine Bierzeltgarnitur, die achtlos neben einem Thermokomposter lag. Sie fühlte sich zum ersten mal wie die richtige Frau, zur richtigen Zeit am richtigen Ort und egal ob sie ihren Verstand, den Bauch oder ihr Herz fragte. Es gab von niemandem Einwände oder Bedenken.
Der Bauwagen bekam hinten ein Bett mit Bücherregalen rein gebaut und ihr Vater hatte einen Heidenspaß, sich immer wieder neue Kleinigkeiten aus zu denken. Am Ende hatte sie eine Liegefläche von 1,40×2,00 Meter, konnte während sie im Bett lag auf Regale am Kopf und Fußende zugreifen und von vorne konnte man auch ein tiefes Regal befüllen, dass ihr Vater passend für vier Weidenkörbe gebaut hatte. Neben dem Bett war Raum für ihre Kleidertruhe, unter dem Bett war auch reichlich Platz mit Schubladen, dann kam eine kleine Küchenzeile, ein Spülbecken, Kühlschrank, der Küchenherd, dem gegenüber ein alter Küchenschrank aus dem Keller ihrer Großmutter, den sie Rosa gestrichen hatte, daneben stand ein Tisch mit zwei Stühlen. Dann kam ihr Sofa und dann der Tag, an dem ihre Familie realisierte, dass es nicht nur ein Gartenhaus werden würde, wo man mal im Sommer und am Wochenende übernachten könnte.
„Ich hab schon so was geahnt, als du deine Matratze hier rein getragen hast. Du hast dir doch kein neues Bett gekauft, davon hättest du doch mal was erzählt.“
Hatte sie erwartet, dass jetzt Tipps und Einwände von ihrer Familie kommen würde, kam nur ein einvernehmliches nicken und von nun an packten alle noch mehr mit an.
Die meisten Sachen, wie Bücher, Schränke und Kommoden oder Kleinkram veräußerte sie auf dem Flohmarkt oder über ebay Kleinanzeigen.
Letzten Endes war ihre Wohnung am Tag der Übergabe leer und sie verließ mit einer Topfpflanze in der Hand das Haus, nachdem sie einem missmutigen Hausmeister die Schlüssel lächelnd überreicht hatte.
Sie schraubte einen Briefkasten an ihr Tor und zog in den Bauwagen.
Und seit dem hatte sie mit Glück und Gelassenheit eine WG.
Sie merkte es erst später, dass jeder Stress von ihr abfiel, sobald sie ihre Hände in die dunkle Erde steckte um irgend etwas raus zu ziehen oder rein zu stecken.
Der kleine Garten wurde im ersten Sommer eine kleine Sehenswürdigkeit.
Die Trockentoilette die Micha an einem Wochenende baute, zog die älteren Herren der Gartenkolonie an wie Licht die Motten. Sah man erst kritisch dem Ergebnis entgegen, verfiel man am Sonntag Abend in Jubel, als die Türe mit ausgesägtem Herzchen ins Schloss fiel und sie ihr Klo einweihen sollte.
Danach gruben Micha und Jakob den Erdkeller und die älteren Herren wollten beide zum Ehrenmitglied ihres Vereins ernennen, weil sie so angetan waren, dass diese alten Methoden zur Lagerung von Obst und Gemüse in Ehren gehalten wurden. Dankend lehnten sie ab. Mit einem freundlichen Verweis auf Pinterest.
Denn den Bau eines Erdkellers hatte keiner von seinem Ahnen gelernt, sondern aus Youtube Videos.
Ihren 35 Geburtstag feierte Frieda auf einer Baustelle und Freunde und Familie standen zunächst sprachlos vor dem unfertigen Paradies und bewunderten Frieda für ihre Unverdrossenheit. Aber ihr Herz war heiter und zunächst war es ihr unangenehm davon zu erzählen, aber sie konnte es nicht anders Beschreiben. Und als sie eine Gartennachbarin bat, deren schwangere Tochter in der Buchhandlung ihres Schwiegervaters zu vertreten, war das Glück perfekt und sie wusste, dass sie das bekommt, was ihr zusteht. Aus der Schwangerschaftsvertretung ist eine feste Teilzeitstelle geworden und auch wenn die Buchhandlung am Eselsbrunnen viel zu klein und zu speziell ist um mehr als den Mindestlohn bezahlen zu können, reicht es doch ganz gut hin.
Das war vor inzwischen neun Jahren. Das rostige Tor leuchtet inzwischen, nach einem blauen und einem Lila Anstrich, Cremeweiß. Rambler Rosen in einem zarten Rosa schmusen sich an den Metallstäben hoch und fallen in üppigen Kaskaden bis fast auf den Gehweg.Wer im Frühling einen Blick durch das Tor wirft, sieht eine Pyramide aus alten Autoreifen, die in mattem weiß oder strahlendem pink angemalt wurden und nun mit Lavendel, Rosmarin, Salbei und Oregano bepflanzt wurde. Auf den gesprungenen Betonplatten, die mit Zement und bunten Fliesenscherben teilweise geflickt wurden steht der Bauwagen, der nach dem letzten Anstrich himmelblau leuchtet und mit den Cremeweißen Fensterläden um einiges edler aussieht, als das pink orange gestreifte mit sonnengelb. „Du wirst älter.“ grinste Steffi als sich Frieda im Baumarkt für die ruhigen Töne entschied. Drei Stufen führen zur kleinen Miniveranda, die gerade so lang ist, dass links und rechts jeweils ein Blumenkasten hängen kann.
Geht man am Bauwagen und der Feuerstelle, die mit Flieder, Holunder und Apothekerrosen eingefasst ist vorbei kommt man in den Gartenteil, der zum Kleingarten gehört. Hier gibt es Strom und Wasser und den Erdkeller zwischen den Haselnusssträuchern. Ein Apfel, Birnen und Pflaumenbaum, sowie zwei Sauerkirschbäume und zahlreiche Beerensträucher waren schon da und trugen nach einem ordentlichen Schnitt auch wieder reichlich. An einer alten Wäschespinne vom Sperrmüll wachsen Bohnen mit Kamille die den Geschmack der Bohnen verbessern sollen und verschiedene Sorten Kartoffeln wachsen in sauber angehäufelten Reihen zusammen mit verschiedenen Pfefferminzsorten. Inmitten der Fülle steht eine alte Friesenbank mit kleinem Holztisch, an dem verschiedenste Farben abblättern und zwischen den Obstbäumen hängt eine bunte Hängematte. In einem kleinen Hüttchen, in der Göße ihres Klos, das nur noch vom Efeu zusammengehalten wird, befinden sich Gartengeräte, Samentütchen, Gießkannen und anderem Kram, zusammen mit ihrem Sombrero, den sie bei der Gartenarbeit trägt.
Ende März fängt es wieder an schön zu werden. Wenn Schneeglöckchen und Krokusse aus jeder Ritze und jedem Gefäß sprießen um später von Traubenhyazinthen, Tulpen, Narzissen und Ranunkeln abgelöst werden.
Jetzt freilich, im Januar, wirkt es trotz Farbtupfer recht trostlos. Aber Frieda Flieder mag auch diese Zeit. Ab April kommt sie kaum dazu einen längeren Roman an zu fangen oder mal einen Tag einfach nur ab zu hängen.
Der Januar war der Monat um die letzten Kraftreserven aufzuladen weil sie im Februar, beim kleinsten Sonnenstrahl schon wieder mit Gartenschere und Schnur unterwegs ist um mit Agnes, Steffi oder Micha bei jedem Schneeglöckchen mit einem Glas Sekt an zu stoßen. Zwar war jeder Gang zum Klo eine Tortour und gerade wenn sie Nachts raus musste, zweifelte sie an ihrer Lebensweise. Im ersten Winter tapezierte sie kurzerhand die ganzen Mahnungen und Drohungen ihres Vermieters an die Wände ihres stillen Örtchens und lies sich dann von aufsteigender Wut den Hintern wärmen. Michas Vorschlag alles mit Noppenfolie ein zu wickeln wurde hingegen abgelehnt.
Frieda schabt mit ihrem Küchenmesser langsam eine Vanilleschote aus. Langsam und tief atmet sie dabei durch die Nase und vorsichtig gibt sie die schwarzen Krümel in den Teig. Einige Safranfäden lösen sich gerade in einem Esslöffel Mandelmilch auf und Frieda verliert sich in den sonngelben Strudeln, die sich in der kleinen Schüssel auf dem Herd verteilen, je wärmer die Flüssigkeit wird. Der Teig riecht intensiv nach wärme. Einer Eingebung folgend, greift Frieda zur Blumenblechdose auf dem Küchenschrank. Dort bewahrt sie ihre letzten Sommerblumen Blütenblätter. Blaue Kornblumen, gelbe Ringelblumen, pinker Steinklee und Rosenblüten. Kurzerhand hebt sie eine Handvoll in den Kuchenteig der jetzt aussieht wie ein Sommergarten. Schwer kleckst der Teig in das Muffinblech. Das Brot ist gerade rechtzeitig fertig, kühlt auf einem Gitter ab und verströmt seinen Duft durch den Wagen. In einer halben Stunde ist auch der Kuchen fertig. Sie nimmt die Kartoffeln und Möhren vom Ofen, gibt einen Löffel Zwiebelchutney dazu und setzt sich zufrieden an ihren Küchentisch.
Ihre Vorräte sind für die kommend Woche wieder gesichert. Müsli, Brot und Kuchen.
Alles zum waschen und putzen ist erst mal noch da, dass eilt also nicht. Nur Zahnputzpulver ist alle.
Nachdem sie Brot und Kuchen in dem großen Blechkasten verstaut und alles abgewaschen hat ist das fast ihr letzter Arbeitseinsatz. Sie füllt einen Esslöffel Natron in ihren Mörser und drei Blätter trockene Pfefferminze, setzt sich in ihren Schaukelstuhl und mörsert die Zutaten mit viel Geduld zu staubfeinem Pulver. Zusammen mit zwei Esslöffel Heilerde wird das ganze in ein kleines Glas gefüllt und kommt in ihr Badezimmer. Eine Schublade im Küchenschrank. Sie füllt die Holzkiste neben dem Ofen auf mit Holz und Kohlen auf und den Eimer neben ihrer Trockentoilette mit Sägespänen. Für heute steht also nur noch ihr Schaukelstuhl, ihre Bücher und vielleicht noch ein neues paar Strümpfe auf dem Programm.
So krümelt der Januar vor sich hin. Während draußen noch alles grau ist und die dunkle Luft, sogar dem himmelblauen Bauwagen sein Leuchten nimmt, wird im Bauwagen bei Kerzenschein vor sich hin gelebt und gewerkelt. Frieda Flieder ist glücklich wenn sie ein mal in der Woche im Stadtbad ihre Runden schwimmt. Bis ihre zwei Zehnerkarten verbraucht sind, kann sie auch schon wieder die Außendusche benutzen. Frieda Flieder ist Glücklich, wenn sie in der Buchhandlung mit Kunden über Neuerscheinungen diskutieren kann, oder Kunden, die Bücher kaufen die sie vorschlägt und hinterher begeistert sind. Und Frieda Flieder ist glücklich wenn sie wieder zu Hause ist, das Herdfeuer seine Wärme durch den Wagen schickt, der Kessel leise singt und die beiden Katzen sich mal wieder blicken lassen und dann auf ihrem Schoß schnurren oder auf leisen Pfoten durch den Bauwagen tigern.
Und manchmal, wenn sie Nachts, umrahmt von ihren Büchern und Dingen für die sie von Herzen dankbar ist, in ihrem Bett liegt, der Herdofen noch ein bißchen pollert und die Straßenlaterne mit ihrem schmutzig gelben Licht, die Regentropfen auf den Bullauge neben ihrem Bett glitzern lässt wie Diamanten und der Wind um ihr Reich pfeift, dann fühlt sie sich gesegnet und ihr Herz tut fast weh. Weil sie das Geheimnis kennt. Sie hat sich ohne viel Bescheidenheit genommen was ihr zusteht. Sie lebt in Luxus und Fülle, weil sie erkannt hat was es wirklich bedeutet.
Den Anfang hat eine Arbeitskollegin von Jakob gemacht. So müde und unglücklich wie sie war, so peinlich war es ihr auch zu einem Therapeuten zu gehen. Sie war nicht krank, sie war müde, ausgelaugt und nach einem Urlaub an irgend einer Costa war sie nach einer Woche auf Arbeit in dem gleichen Zustand wie vor ihrem Urlaub.
„Rede mal mit Frieda. Die hat Ahnung vom Glücklich sein.“ mit diesen Worten schickt Jakob seine Kollegin zum Bauwagen. Und Frieda schickte er eine Nachricht. „Stell keine Fragen, nimm 100€.“
Und bevor Frieda wusste wie ihr geschah, saß eine sehr gut aussehende, edel gekleidete und wohl frisierte Dame in ihrem Garten, aß ihren Kuchen und schuffelte sich mit ihren Stofftaschentüchern die Nase wund.
Inzwischen hatte Frieda Visitenkarten, bot „Beratung zum Leben“ nach Terminabsprache an, war bis auf weiteres ausgebucht und hatte sich eine Box mit Papiertaschentüchern zugelegt. Zwar redete sie nur mit Menschen zu denen ihr Bauch ein Ja gab, allerdings nur einmal pro Woche und schon gar nicht mehr in ihrem Bauwagen.
Nachdem ihre erste Klientin nach einem zwei Stunden Gespräch eine Kur beantragt hatte und nach dieser nur noch vier Tage die Woche arbeiten ging, standen ständig und unangemeldet flennende Menschen am Tor. Manche Geschichten machten Frieda traurig, aber meistens hatte sie danach schlechte Laune und hackte wütend auf ihren Kartoffelacker ein. „Kann ich zaubern oder was? Da brauchts mal eins hinter die Ohren!“
Wenn sie jetzt merkte, dass der kranke oder traurige Mensch keinerlei Selbstdisziplin mitbrachte und das einzige was er bereit war zu tun war, einen Termin bei Frieda telefonisch aus machen, dann erteilte sie kurzerhand eine Absage. Sie begründet die Sachlage kurz, erntete dafür gelegentlich eine Beschimpfung oder grobe Worte, war aber dafür sehr entspannt.
Wenn ein 100 Kilo Mensch vor ihr saß, steif und fest behauptete, dass er ja soviel gar nicht essen würde und dabei ohne es zu merken drei Stück Kuchen futterte, dann war Frieda machtlos.
Wenn ein kaputt-gearbeiter, gut situierter Mensch vor ihr saß und sein einziger Wermutstropfen war, dass andere mehr Dinge und Möglichkeiten besaßen, konnte sie nichts machen.
Der Wille, sein Leben zu verändern und das nicht von falschen Erwartungen abhängig zu machen, musste grundsätzlich vorhanden sein. Dann konnte Frieda so lange zu hören und die richtigen Fragen stellen, bis alles von alleine lief.
Im Winter verabredete sie sich mit ihren Klienten am Hufeisensee. Man lief eine Runde rund herum und zurück auf dem Parkplatz. Danach verschwanden Geldscheine in Friedas Jackentasche und meist motivierte Menschen in ihr Auto oder Richtung Straßenbahn.
Wenn sie danach zurück in ihren Wagen kam, und sich durch gefroren einen Tee aufbrühte, dann war sie doppelt froh und zufrieden.
Und wenn dann noch unerwartet die Temperaturen mal an einem Tag in den zweistelligen Bereich rutschen, sie auf dem Weg zur Arbeit eine Wäschemarke fürs Waschhaus findet und in einer achtlos neben dem Kleidercontainer geworfenen Plastiktüte, alte Tischdecken mit Blumenmotiven aus den 70ern auf sie warten, dann ist das ja wohl ein ziemlich guter Monat gewesen.
Du schreibst so herrlich schön…ich liebe deinen Blog einfach
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