Frieda Flieder- im März

„Und meine Finger waren so steif gefroren, dass ich mir fast den kleinen Finger mit abgeschnitten hätte ohne es zu merken, aber nun ist es vorbei. Das wäre also getan.“

Frieda lehnt sich zufrieden zurück und sieht erwartungsvoll zu ihrer Freundin Agnes, die den Blick lachend erwidert.

„Du bist verrückt.“ sagt sie schmunzeln „Aber deine Bäume sind jetzt alle ordentlich beschnitten und für dieses Jahr können wir uns auf eine geniale Ernte freuen. Was bedeutet, dass wir jetzt schon alle Gläser sammeln können.“

„Ja, aber bitte ordentlich abwaschen.“ sagt Frieda streng und ein klicken verrät ihr, dass ihre Waschmaschine jetzt fertig ist. Agnes greift nach ihrer Tasche, hebt die Hand zum Gruß „Dann sehen wir uns spätestens an Ostern.“ und marschiert Richtung Museum und Frieda nimmt die letzte Ladung aus der Waschmaschine, steckt sie in den Trockner und holt sich an der Theke noch einen Kaffee.

Wenn sie alle vierzehn Tage ins Waschhaus fährt, ist es eigentlich nur ein großer Rucksack voll, aber diesmal ist Bettzeug mit dabei, das ist dann noch mal eine Extratasche. Aber bald ist Frühlingsanfang. Das verlangt nach Bettwäsche mit Blumen in Pastellfarben und die Tagesdecke war auch mal wieder dran.

Sie ist mit dem Kaffee zeitgleich mit den Trockner fertig, packt alles in ihre Reisetasche und versucht sie auf dem Gepäckträger fest zu zurren. Sie denkt noch dran wie albern das bestimmt aussieht, so bepackt durch die Stadt zu klappert. Und klappern ist diesmal wörtlich gemeint. Micha wollte in den nächsten Tagen mal nach ihren Rad schauen. Es braucht eine Frühjahrsdurchsicht, aber vorher bekommt sie einen Frühjahrshaarschnitt. Also tritt Frieda in die Pedale um schnell zum Wagen zu kommen, ihre Wäsche weg zu packen um dann gleich wieder Richtung Frisör Schnittpunkt in die große Steinstraße zu fahren. Sie geht nicht oft zum Frisör, vielleicht vier mal im Jahr. Wenn überhaupt. Aber wenn, dann freut sie sich jedes mal in den kleinen Frisörsalon zu kommen. Sie liebt den frischen und manchmal leicht chemischen Geruch, die kuschelige Wärme, bequemen Sitze, den leckeren Kaffee und die wirklich freundlichen Friseurinnen mit denen man sehr gut und gerne mal eine Stunde rumschnattern kann. Und jedes mal wenn sie ihren Kopf bequem an das Becken zum Haarewaschen lehnt und handwarmes Wasser über ihren Kopf rinnt und das Shampoo von sanften Fingern einmassiert wird, nimmt sie sich vor, einmal die Woche zu kommen. Nur zum Haarewaschen.

Freundliche Augen blicken zur Tür als sie im Salon steht. „Erst Augenbraue? Dann haben sie es hinter sich.“ Betrübt stapft Frieda hinter dem Lehrling her, der sich daran versuchen darf. Augenbraue zupfen ist das Schmerzhafteste, das sich Frieda vorstellen kann. Deswegen murmelt die junge Frau beruhigende Worte, während sie Frieda die empfindlichen Haare aus der Haut reißt. Aber, obwohl sie kühlende, feuchte Läppchen über den Augen liegen hat, weiß sie, dass vor ihr ein bißchen zu breit gegrinst wird. Sie hört es an der Stimme. Aber, was muss das muss. Sie will nicht aussehen wie Bert aus der Sesamstraße. Und falls der Frühstücksmann dieses Jahr kommt will sie nicht mit seinen Augenbrauen oder Schnauzbart konkurrieren.

Frieda lehnt Haarfarbe ab. Sie mag ihre grauen Strähnen im rotbraunen Haar. Sie wirken edel, außerdem hat sie sich jedes graue Haar redlich verdient und raus gewachsene Farbe sieht wirklich um einiges Merkwürdiger aus, als ein paar graue Fusseln.

Sie entscheidet sich, oh Wunder, für einen kurzen Fransenbob, der in drei Monaten auch noch nicht absolut unanguckbar ist.

Als sie den Salon verlässt, sieht sie fast aus wie immer, nur mit mehr Kontur und die Haut um ihre Augenbrauen ist gerötet und brennt noch ein wenig.

Und dann sitzt sie wieder auf dem Rad und fährt in Richtung Berliner Brücke zum Wagen und freut sich den Rest vom Tag nicht noch mal raus zu müssen.

Im Briefkasten steckt Post. Es schaut was weißes durch das kleine Sichtfenster. Hocherfreut holt Frieda den Gartenkatalog vom Bioland-Hof Jeebel raus. Dahinter steckt der Rühlemanns Kräuter Katalog. Breit grinsend hüpft Frieda zum Wagen. Klar wie sie den Rest vom Tag verbringt. Ein Blick verrät ihr, dass in fast allen Gärten, ältere Männer, wie merkwürdige Früchte in den Bäumen hängen. Hier wird geschnitten, dort wird gehackt und woanders Fruchtmumien aus den Bäumen gepflückt. Zu jedem älteren Herren gehört die passende Frau mit Kaltwelle, die ihren kritischen Blick durch den Garten schweifen lässt um die Schäden vom Winter zu begutachten. Frau Sperling von nebenan hat sich immer einen älteren Herren ausleihen dürfen, weil ihr eigener schon lange auf keine Bäume mehr steigen konnte, im Gegenteil, er hielt sich mehr in Wurzelnähe auf. Und das war einer von Frau Sperlings Lieblingsscherzchen. Aber Frau Sperling hatte sich das ganze Jahr noch nicht blicken lassen, sie wird ihrem Mann doch nicht beim Wurzelbeschneiden assistieren?

*

Der Wagen ist ausgekühlt und Frieda pustet in die Glut bis ihr schwindelig wird. Zwei Kiefernzapfen in einer Zuckertüte fangen Feuer schnell Feuer und schon kann kleines Holz nachgelegt werden. In der Spüle steht eine Schüssel in der Kartoffelecken seit heute morgen vor sich hin wässern. Frieda kippt das schaumig trübe Wasser ab und legt das Gemüse in eine Auflaufform. Jede einzelne Ecke wird bedächtig mit Olivenöl eingepinselt und mit ihrer speziellen Salz, Paprika, Zimt und Zitrone Mischung bestreut. Frieda schiebt die Form in die Backröhre, legt noch ein paar Stücke Holz nach, wie es aussieht eine alte zersägte Palette, und setzt den Wasserkessel auf. Zur Feier des Tages nimmt die die Gelbgrüne Tasse mit Hahn und Henne Motiv. Das war ihre Kakao Tasse bei ihrer Oma und obwohl schon eine Eckchen abgeplatzt ist, weil Steffi und sie vor fast 40 Jahren den Küchentisch umgerissen haben als sie in der Küche Bremer Stadtmusikanten spielten, ist es für Frieda unmöglich sie als Blumenübertopf oder Stiftebecher zu nehmen. Oder gar weg zu werfen. Undenkbar. Im Brotfach steht noch ein Glas mit Keksen. Weil aller guten Dinge drei sind, nimmt sie drei mit und drei ohne Streusel und legt sie auf einen rosa bunten Kuchenteller mit Kuchenmotiv. Bedächtig packt sie die Kataloge aus den Umschlägen, legt die Papierumschläge gleich zum Feuerholz, legt die Kataloge neben den Keksen auf den Tisch und knipst die Lampe über dem Tisch an. Ein pinkes, emailliertes Durchschlagsieb wirft einen warmen, hellen Schein auf den Tisch und Lichttupfen an die Decke. Der Kessel singt, Frieda gibt einen Löffel Kaffeepulver in die Tasse und schüttet siedendes Wasser darüber.

Dann setzt sie sich an ihren Platz und nimmt mit einem Stoßseufzer die Kataloge in die Hand. Heute will sie mal so tun, als hätte sie ein unbegrenztes Budget. Sie wird alles aufschreiben was sie gerne hätte. In ein paar Tagen wird sie noch mal mit ihrem Verstand die Liste durch gehen und löschen was vermutlich eh nicht wächst oder der Aufwand nicht gerechtfertigt ist. Dann wird sie die Liste mit ihrer Zunge durch gehen. Alles was sie geschmacklich nicht absolut reizt, wird gestrichen. Dann wird sie gucken was sie hier auf dem Markt bekommt und zum Schluss geht sie die viel kleinere Liste mit ihrer Geldbörse durch und dann wird die Bestellung recht übersichtlich. Kartoffeln ist ihre große Leidenschaft, sie hat ihre Lieblingssorten und versucht auch immer neue alte Sorten unter zu bringen. King Edwards werden gleich aufgeschrieben. Weiß mit roten Flecken. Mit diesen wird die Kartoffelernte zur Schatzsuche. Als sie zum ersten mal die Grabgabel in die Erde steckte und eine Ladung rotbetupfter Knollen zu Tage brachte, hätte sie ihre Ernte am liebsten an einer Schnur um den Hals getragen. Das behauptet Micha jedenfalls. Auf alle Fälle ist der größte Teil des Gartens für Kartoffeln vorbehalten und in Reihen werden sehr frühe, frühe, mittelfrühe, späte und sehr späte Knollen gesetzt und liebevoll angehäufelt. Zwischen die Reihen sät Frieda Kamille aus, weil das den Geschmack verbessern soll und dann kann man sie auch wieder sehen wie sie durch die Reihen tanzt und Kartoffelkäfer sammelt.

Lila Stangenbohnen, rot blühende Feuerbohnen, Zuckererbsen, Steckzwiebeln, Salat, gelbe Tomaten und gestreifte Zucchini. Auf dem ersten Bestellschein finden alle Wünsche Platz. Sogar ein Weidenkorb und ein Gärtnermesser.

Mittlerweile ist es dunkel geworden, zwei A4 Blätter sind sehr klein beschriftet und die Kartoffeln in der Röhre haben eine Knusperkruste. Für heute legt Frieda die Kataloge zur Seite. Die Katzen mautzen vor der Türe und als Frieda sie rein lässt, springt eine auf den Schaukelstuhl und die andere zur Wolle im Korb. Im Wagen ist es warm und gemütlich und Frieda geht nicht wirklich gerne noch mal raus. Aber mit Außenklo muss man es wohl oder übel, wenn man sich keinen Nachttopf hinstellen möchte. Ein Onkel mit sonderbarem Humor hatte Frieda sogar schon mal einen geschenkt. Einer der im dunklen leuchtet. Und Frieda hat einen Rosenstock rein gepflanzt und trotzdem drei Kreuze gemacht als der Topf vorm Tor geklaut wurde. Nun, trägt sie die Katze vom Schaukelstuhl zum Bett und legt sie auf die Tagesdecke, stellt ihren Laptop auf den Tisch, schenkt sich ein Glas Rotwein ein und ißt die Kartoffelecken mit Ketchup und Appetit während sie Family Guy auf Youtube schaut. Ein perfekter Abend.

*

Frieda putzt das Frühbeet aus. Noch vom Vorbesitzer, aus alten Fenstern gebaut, steht es in einer Ecke des Gartens. Sie streut die ersten Salat und Radischensamen rein.

Dann fegt sie den Hof und steht kurz unschlüssig vor ihren Blumentopfskulpturen. Im Garten gab es unzählige Keramikblumentöpfe vom Vorbesitzer. Frieda fragte sich wozu. Wenn man überall guten Boden hat, braucht man doch keine Blumen in Töpfen, die viel Pflegeaufwändiger sind. Also hatte sie kurzerhand alle Töpfe in bunten Farben bemalt, schöne Gedichte drauf geschrieben und übereinander gestapelt. Ihr ´Lieblingsstapel ist ein Turm aus neun fliederfarbenen Töpfen der mit einem Gedicht von Erich Fried beschrieben ist. „Wie es ist“ Es ist was es ist sagt die Liebe. Die Töpfe bräuchten einen neuen Anstrich. Die Buchstaben müssen noch mal ausgebessert werden.

Sie denkt gerade darüber nach, ob sie damit was ganz neues machen soll, als ein strahlender Micha durchs Tor kommt. „Ich habe was für dich.“ sagt er und zeigt auf sein Auto. Im Kofferraum liegt auf umgeklappten Rücksitzen ein Schrank. Schwarz furniert, mit Glastüren, die nach oben hin spitz zulaufen. Hässlich – ist das erste was Frieda dazu einfällt. Fragend guckt sie zu Micha. Der ist aber ganz begeistert. „Mein Neffe zieht doch jetzt mit seiner Freundin zusammen und das ist sein Wohnzimmerschrank, den braucht er nicht mehr. Der ist noch voll gut.“ Frieda betrachtet kritisch den mir Flammen eingerahmten Totenkopf der mit „window Colours“ in eine Ecke der Glastüre gemalt wurde. Micha rollt die Augen. „Frieda! Es ist doch nur die Rückwand und die Regalböden die schwarz sind. Guck doch mal richtig, Glaswände und Glastüren.“ Und jetzt versteht Frieda. Sie trägt mit Micha den Schrank und stellt ihn auf den Hofplatz, ganz nah an die Hauswand zur Waschanlage. „Ewig wird der nicht halten, wenn es drauf regnet. Aber dann bringen wir ihn halt zum Müll. Da sollte er eh hin. Am Wochenende kommen Holger und ich rum um deinen Kartoffelacker zu bearbeiten, da können wir gleich angrillen.“

Mit einer Umarmung verabschiedet sich Micha, setzt sich ins Auto und fährt wieder.

Und Frieda steht vor ihrem neuen, noch sehr hässlichem, Gewächshaus. Sie nimmt die Regalbretter raus, holt einen Rest Wachstischtuch mit Obst Motiven und klebt diesen von innen an die Rückwand. Von Außen kommt in jede Ritze eine Silikonwurst, die schön eingearbeitet wird und nach zwei Stunden steht da ein kleines buntes Etwas, wo alle Anzuchttöpfchen Platz haben. Damit der Schrank nicht so leer steht, werden dort schon mal die Torftabletten gelagert. Davon hat Frieda letztes Jahr reichlich gekauft, als sie um 50% reduziert waren. Ihr Pikier-Werkzeug findet auch noch Platz und eine kleine Flasche mit einem Brausekopf. Hier werden dann bald kleine Tomaten, Paprika und Chillipflanzen keimen und wachsen.

*

Durch Friedas Kopf tanzen Hasen in Kleidchen. Zu Ostern werden immer viele Bilderbücher gekauft und verschenkt. Aber die Häschenschule ist immer noch am beliebtesten. Sie hatte das Buch selbst gehabt und als kleines Kind gerne darin geblättert. Aber sie weiß auch, dass sie es vorwiegend gruselig gefunden hat. Der strenge Lehrer, der mörderische Fuchs und die Hasenkinder in den Kleidchen. Als sie ihr Rad über ihren Platz schiebt, bemerkt sie, dass sich inzwischen was in Frau Sperlings Garten getan hat. Mißmutig steht Frau Kirsch am Zaun. „Na da hat der sich ins Zeug gelegt der Bursche. Aber lange macht er das eh nicht, wenn der erst mal merkt was das für eine Arbeit ist, so ein Garten.“

„Wer hat sich ins Zeug gelegt?“

„Ihr Enkelsohn. Der hat ja keine Arbeit, da kann er das mal für seine Großmutter machen.“

„Sieht doch alles gut aus. Da freut sich Frau Sperling ganz bestimmt.“

Mit einem knappen Kopfnicken verkriecht sich Frau Kirsch wieder in ihrem Garten.

Frieda hat zu tun. Morgen kommen Holger und Micha und wenn die Beiden ihren Garten umgraben, dann brauch Frieda was um auf den Grill zu werfen, deshalb hat sie seit dem Vortag schon Sojabohnen eingeweicht, die sie immer in 5kg Großpackungen direkt in Österreich bestellt.

Sie wirft die aufgeweichten Hülsenfrüchte in ihren Mixer und siebt anschließend alles in ihren Ententopf, wo sich die rohe Sojamilch sammelt. Dann legt sie ein paar Stücke Holz nach und schiebt den Topf auf die Kochstelle. Aus zwei leeren Eispackungen hat sie sich eine Presse gebastelt und diese legt sie jetzt mit einer Mullwindel aus. Sie stellt sich eine abgemessene Menge gelöstes Bittersalz, was sie in jeder Apotheke bekommt, zurecht und wartet, bis die Sojamilch einmal aufkocht. Dann schüttet sie vorsichtig das Bittersalz dazu und schüttet alles in ihre Presse. Das Tuch wird fest eingeschlagen und auf das ganze kommt ein Ziegelstein. Ob es nicht zu viel Arbeit wäre, wird sie oft gefragt. Man könnte es doch auch kaufen, wird ihr oft gesagt. Aber dann müsste sie richtig Arbeiten gehen, vierzig Stunden womöglich, damit sie sich Biotofu leisten kann und Biomarmelade. Und sie müsste sich mit lächerlichen EU Biostandards zufrieden geben. Nein. Der Tofu wäre ihr zu teuer. Lasst eure Nahrung eure Medizin sein. Und das ist sie wohl kaum wenn sie in irgend welchen Großkonzernen hergestellt wird. Natürlich gibt es auch Ausnahmen die sie macht. Wenn sie in der Stadt Hunger bekommt und sich eine Brezel holt, dann ist ihr klar, dass es mal ein industriell angefertigter Teigling war und wenn sie sich mal eben schnell einen Apfel holt, dann kommt der nicht immer aus der Region. Aber wo es geht, vermeidet sie es weit her gereiste und industriell gefertigte Nahrung zu konsumieren. Und für sie ist es das höchste Lebensmittel her zu stellen. Dadurch bekommt das Wort auch wieder einen Sinn.

Der Tofu wird in der Presse immer fester. Morgen würde sie ihn in Scheiben schneiden und marinieren. Dazu gibt es Kartoffelsalat. Deswegen geht sie noch mal in den Erdkeller und holt ein paar Kartoffeln, die danach in den Topf wandern und auf dem Ofen weich kochen.

*

Liebevoll betrachtet sie noch mal ihren Karton der gestern angekommen ist. Die kleinen festen Saatkartoffeln, den Stielmangold in bunten Farben, die Tüten mit Bohnen und das andere Saatgut.

„Du glotzt in diesen Karton wie Liz Taylor in ihre Schmuckschatulle.“ hat Steffi gestern gelacht.

Aber ihre Schwester kann sie auch verstehen. Das tut sie seit sie im ersten Jahr zum ersten mal bewusst war genommen hatte, wie es um sie rum gewachsen ist. Wie aus einem kleinen Korn eine Zucchini Schwemme entstehen kann und aus einem kleinen Keim in einer Torftablette eine Pflanze, die ihr bis zum Kinn reicht und sie mit Tomaten versorgt. Und mittendrin ihre kleine Schwester, die erntet und einkocht, nicht mehr aus ihren Gummistiefeln raus kommt und damit glücklich wie nie ist.

*

„Kein Karottenkuchen dieses Jahr?“fragt Micha entsetzt.

„Ostersonntag erst. Knüppelkuchen, Karottenkuchen, Pizzabrötchen und die letzten beiden Flaschen Pflaumenwein.“ ruft Frieda rüber „Aber im Waagen habe ich noch ein paar Erdnusskekse, die kannst du haben wenn du was süßes brauchst.“

Frieda legt ein paar Äste in den Feuerkorb. Der Grill gibt nicht genug wärme ab, dass man gemütlich draußen sitzen könnte. Micha und Holger stehen dreckverschmiert im Garten und haben den Abschnitt für die Kartoffeln schon umgegraben und ziehen jetzt schöne Reihen in die Frieda morgen ihre Kartoffeln setzen wird.

„Grill ist angeworfen.“ ruft Frieda.

Noch bevor Micha oder Holger irgendwas sagen können erklingt eine bekannte nörgelnde Stimme.

„Und dann legt ihr wieder Gemüse drauf. Das bringt doch nichts. Dann könnt ihrs auch gleich bleiben lassen.“ passend zur Stimme erscheint das Gesicht von Christian Kirschner am Zaun.

„Und?“ fragt Holger „Was willst du jetzt damit sagen?“

„Das Menschen Fleisch brauchen. Deswegen sind wir doch auf die Jagd gegangen. Wir waren Sammler und Jäger. Das war schon immer so.“

„Und was hast du auf deinem iPhone? Eine Jagd App oder eine Sammel App?“ lacht Holger.

Christian rollt mit den Augen. „Ich meine nur, dass die Steinzeitmenschen sich nur so hoch entwickelt haben, weil sie Fleisch gegessen haben. Und dazu haben sie auch extra Mammuts gejagt.“

„Ja, dann jag dir halt ein Mammut und dann kannst du dich mit dazu setzen.“ sagt Micha ruhig und betrachtet sich den blassen, zwanghaft auf Teeny getrimmten Enddreisiger.

„Aber Christian.“ sagt Holger mit einem boshaften Grinsen. „Ein Mammut, ja. Wir können deine Mutter von einem Mammut unterscheiden. Mammuts haben nämlich einen Greiffinger am Rüssel.“ Frieda und Micha brechen in schallendes Gelächter aus.

„Ja und Mammuts rauchen auch nicht Ernte 23 in Kette.“ lacht Micha.

Christian verzieht das Gesicht. „Na dann habt ihr ja hoffentlich keine Probleme, wenn ich hier demnächst eine richtige Grillparty schmeiße.“

„Du kannst schmeißen was du willst.“ lacht Frieda.

„Na wenn mein neuer Garten eingeweiht wird.“ Christian zeigt siegessicher auf den Sperling Garten.

„Das kann wohl noch eine Weile dauern. Und selbst wenn Frau Sperling den Garten nicht mehr weiter machen will, kann sie ihn immer noch an jemanden übergeben. Sie muss ihn nicht abgeben, damit er neu ausgeschrieben wird.“ klärt Frieda auf.

„Aber wer soll den denn nehmen? Ihr Enkel? Dann ist hier bestimmt jedes Wochenende Party.“

Frieda zuckt kurz zusammen. Das stimmt. Christian muss ja nicht der einzige nervende Gartennachbar sein. Wenn da jemand mit Anfang zwanzig kommt und den Garten übernimmt, dann bestimmt nicht nur um in Ruhe Gemüse an zu pflanzen. Aber Frau Sperling kann unmöglich so einen Enkel haben. Warum hat sie ihn noch nie gesehen? Hat er ihr bisher noch nie geholfen? Oder macht er das erst jetzt wo er ein Partygelände in Aussicht hat.

Nachdenklich stellt sich Frieda an den Feuerkorb, weil ihr plötzlich ein eisiger Schauer über den Rücken läuft. Warum kann bitteschön nicht alles immer so bleiben wie es ist. Warum muss sich immer irgend was verändern. Gerade, wenn man sich an irgendwas gewöhnt hat. Dann passiert was anderes.

Die Tofusteaks liegen auf dem Grillrost und verströmen schon einen würzigen Duft. Frieda hat heute früh noch knusprige Fladenbrote aus dem Ofen gezogen, die mit dem Tofu zusammen bestimmt köstlich schmecken. Dazu hat sie noch drei Brotteller für den Kartoffelsalat gebacken. Sie hat nicht so viel Geschirr, dass sie es mit raus nehmen möchte. Und gerade Holger, so lieb wie er ist, stellt sich manchmal etwas ungeschickt an. Das will sie einfach nicht riskieren.

Ihre Lieblingshelfer stellen gerade die gereinigten Gartengeräte in das Hüttchen zurück. Und kommen dann zur Feuerstelle getrampelt. Schwer lassen sie sich auf die Bierzeltbänke fallen.

„Das ist es was mich stört, wenn man irgendwo fest sitzt.“ grummelt Micha. „Du weißt nie, wenn du als Nachbarn kriegst und kannst es dir auch nicht aussuchen.“

„Man kann doch über alles reden.“ wirft Frieda ein. „Das krieg ich schon hin.“

„Ja aber man sollte eigentlich nicht über alles reden müssen. Manches wird durch einfaches nachdenken selbstverständlich.“ Micha wird immer etwas überreizt, wenn er erschöpft ist und dann wirkt eine Begegnung mit Christian nicht heilsam.“

Aber Frieda muss ihm auch recht geben. Wenn in einer Kleingartenanlage, wo sich Stadtmenschen ein bißchen Natur gönnen, keine laute Musik gespielt wird, dann liegt es ja nicht daran, dass die alle zu doof dazu sind, eine Musikanlage auf zu bauen. Und wenn nicht ständig Party ist, dann bedeutet das nicht zwangsläufig, dass man keine Freunde hat. Wenn also jemand kommt, der sich konträr seiner Mitmenschen verhält, dann darf man davon ausgehen, dass es Bewusst gemacht wird. Entweder weil ihm seine Mitmenschen egal sind, oder weil er Aufmerksamkeit braucht und deswegen provozieren muss. Und die, denen die anderen egal sind, bauen oft auf der Tatsache, dass keiner kommt und etwas sagt, weil man ihnen dann ganz schnell den Spießer-Vorwurf um die Ohren hauen kann. Und Frieda bekommt den oft zu hören und ist immer wieder erstaunt darüber. Natürlich gibt es in Deutschland zu viele Regeln und Gesetzte. Man will immer auf Nummer Sicher gehen und gewöhnt sich dann das selbst nachdenken komplett ab. Wenn bei einer unbefahrenen Straße, bei strömenden Regen, Menschen an einer roten Ampel stehen und mit eingezogenen Hälsen auf grün warten, dann wirkt das schon gehirngewaschen. Oder wenn schon wieder ein Restaurant geschlossen wird, weil eine Toilette zu wenig vorhanden ist und die Kosten für einen Umbau zu hoch sind. Warum darf ich als Gast nicht selbst entscheiden ob es mir reicht, wenn da nur zwei Klos sind und ich bei Vollbesetzung vielleicht mal fünf Minuten warten muss. Aber im Großen und Ganzen, sollen Regeln auch das Zusammenleben vereinfachen.

Weil Rücksichtnehmen ist nicht so selbstverständlich wie es sein sollte. Weil es zu viele Flegel gibt, die genau das dann ausnutzen.

„Ach mach dir keinen Kopf.“ sagt Holger „Denk an dein gutes Karma, es wird dann auch was Gutes passieren. Das sagst du selbst immer. Wenn die Situation nicht dein Freund ist, dann ist sie dein Lehrer.“

„Ich sehe hier schon jemanden der mich bei Kummer-Gesprächen vertreten kann.“ schmunzelt Frieda. Sie hat bis jetzt jede Woche ein, manchmal zwei Gespräche gehabt. Aber sie weiß, dass wird bei schönem Wetter mehr. Die Leute sind nicht nur im Winter traurig. Gerade wenn es anfängt warm zu werden und überall sind Pärchen und Gruppen unterwegs um an der Saale oder in Biergärten zu sitzen, dann kommt einem das Alleinsein noch schwerer vor als im Winter, wo sich eh alle zurück ziehen.

Alle drei kauen sehr zufrieden an ihrem Fladenbrot und starren ins Feuer. „Ich freu mich so, dass es jetzt wieder los geht.“ Friedas Augen tränen, weil sie vergessen hat zu blinzeln.

„Feuerschale, Knübbelkuchen, Glühwürmchen, Erdbeerbowle, Abends nur in Strickjacke draußen sitzen.“

Frieda sitzt da, noch in ihrer pinken Skijacke. Aber Holger trägt nur ein Hemd offen über seinem „Virgin Steel“ Shirt. „Du wirst morgen krank sein.“ meckert sie. Unten im Erdkeller steht noch eine Flasche Spitzwegerich Hustensaft, denn sie selbst eingekocht hat. Sollte sie ihm die prophylaktisch einpacken. Ein Glas mit Linden- und Holunderblüten tut es auch. Immer das selbe mit den Jungs.

*

Fröstelnd dämmert Frieda im Halbschlaf vor sich hin. Sie hatte am Vortag die Kartoffeln in die Reihen gelegt und kleine Hügelreihen gezogen. Ihr Kartoffelbeet sieht schon fix und fertig aus. Sie hat es angeguckt bis die Sonne weg war. Und jetzt liegt sie hier. Es ist kalt und der Rücken tut weh, dass sie nicht mehr weiß wie sie liegen soll. An ihrer linken Hand ist eine Blase vom Hackenstiel und ihre Schienbeine übersät mit blauen Flecken, wenn sie zu euphorisch drauf los gehackt hat. Gerade wenn es ihr so geht, wie jetzt, schiebt sich unweigerlich der Frühstücksmann in ihre Gedanken und ihr Bett. Hält sie im Arm während die Hand des anderen Arms sanft ihren Rücken massiert und eine Stimme – am besten die von Kahl Drogo aus der ersten Staffel Game of Thrones – ihr ins Ohr flüstert, dass sie liegen bleiben soll, bis er Feuer gemacht hat und der Kaffee fertig ist. In diesem Traum schwelgt sie so lange, bis ihre Blase sie daran erinnert, dass selbst der tollste Typ nicht alles für sie erledigen kann. Schwer stemmt sie sich nach oben, schwingt die Beine unter der warmen Decke hervor in die Kälte, lässt ihre Füsse in die ausgekühlten Plastikschlappen gleiten und geht im Dämmerlicht nach draußen. Es ist so kalt, dass ihre Haut brennt und ihr Rückgrat noch steifer wird.

Ihre Knie knacken als sie sich runter beugt um Feuer im Ofen zu machen. Mit den kleinen Flämmchen die an den Tannenzapfen lecken kommt sehr langsam auch die Wärme zu ihr. Über die Augen, durch ihr Gesicht von da durch den Rücken. Sie sucht ihre Socken, die noch im Bett liegen, zieht sie sich über die Füße, wickelt sich in ihren Morgenmantel und nimmt ächzend im Schaukelstuhl platz. Sie spürt es in den Knochen, dass heute einer von den Tagen ist wo sie nur schwer in Fahrt kommt.

Nach dem ersten Kaffee fängt sie an Karotten zu reiben, Nüsse zu mahlen und bunte Papierförmchen mit Kuchenteig zu füllen. Bei ihrem letzten Einkaufsbummel hat sie ein Päckchen mit Marzipanmöhren erstanden. Während die Karottenmuffins abkühlen, knetet Frieda einen Plätzchenteig mit Bananen, der dann im Kühlschrank zur Ruhe kommt, während sie eine weiße Puderzuckerschicht auf die Muffins pinselt, gehackte Pistazien drauf streut und in auf jedes Stück eine Marzipanmöhre steckt. Lieblich sieht das aus. Die Papierförmchen hat sie in der Buchhandlung geschenkt bekommen. Es sind rote, blaue, grüne und gelbe mit weißen Punkten. Ihr Chef, ein Buchhändler der alten Gattung, bekommt jedes mal ein neues Magengeschwür, wenn er Sachen verkaufen soll, die mit Büchern nichts zu tun haben. Diese ganzen Spielburgsachen sind ihm ein Greuel. Aber er musste auch schon zähneknirschend zugeben, dass der Umsatz nicht schlecht ist und das man, wenn man ein Buch über Marmelade kauft auch gerne gleich ein paar schöne Etiketten mitnimmt. Oder eine Schürze zum Kochbuch, oder eine Gießkanne zum Gartenbuch.

Aus dem Plätzchenteig werden Eikreise ausgestochen die nach dem Backen bunte Muster aus Schokolade, Puderzucker und Streusel bekommen. Am späten Nachmittag sind nicht nur die großen Blechdosen voll Kuchen und Plätzchen, sondern aus Schnur und Zeitungspapier auch noch bunte Girlanden gebastelt. Als alle Puderzuckerkrusten entfernt sind, nimmt Frieda ihre Badesachen und fährt ins Stadtbad.

*

Schwerelos liegt sie auf dem Wasser. Die Ohren, untergetaucht, nehmen das Getratsche nur als dumpfes Gemurmel auf. Sie treibt auf dem Rücken im runden Becken der Frauenhalle, die inzwischen auch für Männer zugelassen ist.

Die ganze Woche Katzenwäsche am Spülbecken verlangen nach einem wöchentlichen ausgiebigen Bad. Zwar wird immer ein bißchen pikiert geguckt, wenn Frieda ihre Schienbeine mit dem Rasierhobel bearbeitet, während die Gesichtsmaske aus Heilerde, die sie in einem Schraubglas mitbringt, langsam antrocknet, aber da steht sie inzwischen drüber.

Eine Hand legt sich auf ihr Gesicht und macht Anstalten sie unter Wasser zu drücken. Agnes. „Na, Beauty Programm schon durch gezogen?“

Zusammen schwimmen sie ein paar Runden, werden aber immer wieder von kleinen Gruppen älterer Damen ausgebremst die in Dreierreihen mit wild gemusterten Badehauben und ihren Poolnudeln einen fliesenden Verkehr unmöglich machen.

Dann muss man es eben langsam angehen lassen.

„Ein beheiztes Badezimmer hat was.“ sinniert Frieda „jeden Tag einfach Hahn auf und duschen, oder ohne Stiefel und Mantel aufs Klo gehen, das ist schon ein Luxus, der mich reizen würde.“

„Deine Haut ist so viel besser. Lass mal lieber wie es ist.“

Fragend schaut Frieda zu Agnes.

„Ist dir das noch nicht aufgefallen? Deine Haut schimmert und sieht immer so ganz frisch und rosig aus. Und jeder schätzt dich auf mindestens zehn Jahre jünger.“

„Trotzdem. In letzter Zeit passiert es auch immer öfter, dass ich Nachts aufs Klo muss. Und das soll ja im Alter nicht besser werden. Ich brauche irgendwann ein Klo im Wagen. Aber keinen Potty den ich einfach irgendwo in einen Schrank stelle. Ne, ich will noch vor meinem Fünfzigsten ein Bad mit Fliesen und Klo und Dusche.“

„Na da haben wir ja noch sechs Jahre zum nachdenken wie das klappen soll.“

Frieda hatte am Anfang ihres Wagenlebens Angst davor, dass sie anfängt zu stinken. Agnes hat ein recht empfindliches Näschen. Schweißgeruch bereitet ihr regelrecht Schmerzen und Frieda hatte eine Abmachung mit ihr. Sobald Frieda muffig, gebraucht oder verschwitzt riechen würde, wäre es vorbei mit dem Leben im Wagen. Bei aller Liebe zur Umwelt und Nachhaltigkeit, sie wird nicht wie ein Hippie im Schritt riechen. Aber da sie vorher schon den Teufelskreis unterbrochen hatte, gab es nie Auffälligkeiten. Sie achtet mehr auf ihre Pflegeprodukte. Weichspüler entzieht der Haut Fett, die Klamotten werden schneller schmutzig, die Haut wird gereizt, fängt an zu riechen. Normales Deo, vergiftet den Körper, der reagiert mit Schweißausbrüchen. Und immer so weiter. Aber Frieda hatte schon diesen Kram vermieden, als sie noch täglich im warmen duschen konnte. Da fiel die Umstellung ganz leicht. Und bei diesen Temperaturen war schwitzen eh selten. Und da tat es ein Waschlappen und eine große Schüssel mit warmen Wasser aus dem Kessel.

„Gucken wir gleich noch mal über den Ostermarkt?“ fragt Agnes.

„Ne, ich fahre gleich nach Hause. Wir sehen uns ja morgen um zwei bei mir. Nimmt euch was warmes zum anziehen mit.

*

Heute ist viel zu tun und deswegen springt Frieda mit etwas mehr Elan aus dem Bett. Während ihr Kaffeewasser heiß wird, setzt sie schon Hefeteig für den Knüppelkuchen und die Pizzabrötchen an. Aus dem letzten Glas Tomatensoße vom letzten Jahr, zwei Möhren und Rotwein köchelt sie eine kräftige, dicke Soße mit der sie dann den ausgerollten Pizzateig bestreicht. Danach verteilt sie eine Dose Pilze darüber und rollt den Teig zu einer dicken Rolle auf, von der sie dann zweifingerbreite Schnecken abschneidet, die sie auf ein Backblech verteilt und mit getrocknetem Oregano bestreut.

Sie legt Holz nach und rasch durchströmt ein appetitlicher Essensduft denn Wagen. Mit einer bitte ans Universum, dass es heute bitte nicht regnen soll, spannt sie die Wimpel aus Zeitungspapier über den Grillplatz und legt ein gebatiktes Laken über den Tisch der Bierzeltgarnitur.

Im Gartenhäuschen liegen Stuhlkissen in allen Farben und Größen. Schnell sind diese auf die Bänke verteilt. Die Ecke um den Feuerkorb sieht bunt und fröhlich aus.

„Kann ich dir helfen?“ Steffi steht hinter ihr. Mit einer Pflanzschale in der Hand, die voller Miniosterglocken steckt.

Sie stellt die Blumen auf den Tisch und Jakob bringt einen Kuchen in Hasenform in den Wagen. Frieda erkennt, dass wie jedes Jahr die Ohren abgebrochen sind und nachträglich mit Schokolade angeklebt wurden. Schmunzelnd erwähnt sie die alte Stefanie Flieder Tradition, jeden Ostern einen Tobsuchtanfall zu bekommen, wenn die Hasenohren beim aus der Form nehmen abbrechen.

Jakob und Frieda können darüber herzlich lachen. Steffi guckt ehe Schmallippig aus der Wäsche. Wie jedes Jahr wenn es um ihren Hasenkuchen geht.

Mit großen Hallo kommen Holger und Micha durchs Tor. Außerdem etwas großen blau weißem.

„Ein 1a Pavillon.“ ruft Holger. „Meine Eltern wollen sich dieses Jahr eins mit Seitenteilen gönnen. Damit sie es rundrum zu machen können. Das hier kann auf den Müll.“ Frieda freut sich als die Bierzeltgarnitur plötzlich unter Dach und Fach steht.

Agnes kommt mit dem Rad gleich durchs Tor gefahren. „Bin ich Bummelletzte?“

Und dann sitzen alle da. Halten Besenstiele mit Brotteig umwickelt in die Glut des Feuerkorbes. Essen Kuchen in Hasenform, Plätzchen in Eierform und Kuchen aus Karotten. Nachdem noch die letzten beiden Weinflaschen aus dem Erdkeller geholt worden sind und Steffi die zweite Kanne Kaffee aufgebrüht hat, wird es noch gemütlicher und auch ein bißchen laut.

Man redet über das letzte Jahr, letzte Ostern, Marmelade, das kommende Jahr, bewundert den Kartoffelacker der braun und gefurcht da liegt.

Und Frieda schaut sich um. Inmitten ihrer Lieblingsmenschen fühlt sie sich glücklich. Wahrscheinlich auch ohne Frühstücksmann. Aber Micha und Holger haben sich. Steffi und Jakob gehören zusammen und Agnes hat Kollegen die täglich mit ihr flirten. Das ist wenigstens was.

Heute Abend wenn Frieda wieder alleine im langsam kälter werdenden Bauwagen sitzt, hat sie – was? Eine Flasche Maibowle im Kühlschrank und wenn Holger nicht alles aufisst hat sie sogar noch eins oder gar zwei Pizzabrötchen. Das ist mehr als viele andere haben. Sie ist wirklich zufrieden. Trotzdem wird sie sich heute ein bißchen betrinken.

*

So wie der Sonntag geendet hat, ist der Ostermontag weiter gegangen. Betrübt und betrunken hatte Frieda den Feiertag mit den Resten vom Kuchen und Maibowle aus der Tankstelle verbracht. Sie hat nur zwei oder drei mal gelacht. Über irgend welche Cartoons. Ihr Buch ist fertig gelesen und sogar ihre Bonbons sind alle gelutscht. Ihre Frustfressorgie hat fast alle Vorräte gekostet.

Und jetzt liegt sie hier, verkatert, riechend und lustlos.

Der Gedanke sich gleich aus ihren schön warmen Sachen zu schälen um in die Buchhandlung zu fahren ist ihr heute gerade unerträglich. Um den Wagen pfeift ein fieser Wind und obwohl sie recht gut durch geschlafen hat, fühlt sie sich wie gerädert. Und an Tagen wie diesen fragt sie sich immer wie lange das wohl noch so gehen kann und Spaß macht. Heute ist ihr Herz ein schwarzes Loch. Es fühlt sich an wie ein Vakuum in ihrer Brust, dass an den restlichen Organen zieht. Erst die Katzen, die unbedingt raus wollen, können Frieda aus ihren Gedanken reißen und wenn sie schon mal steht, setzt sie gleich Wasser auf und zieht sich an. Heute zieht sie eine gelb rosa gestreifte Fleece Leggins unter ein Lindgrünes Schürzenkleid mit weißen Tupfen. Das hebt heute ihre Laune an. Danach macht sie sich einen Kaffee und gönnt sich das letzte Stück Kuchen.

Mit hochgeschlagenem Kragen und tief ins Gesicht gezogener Mütze braust sie durch die Stadt wo sie heute einen sehr wortkargen Tag in der Buchhandlung verbringt. Sie verkauft Unmengen von Diätbüchern, empfiehlt dazu meistens vegane Kochbücher. Gartenbücher und Lebenshilfebücher kommen gleich an zweiter Stelle. Sie verpackt Romane in Geschenkpapier. Löst Gutscheine ein und räumt Papierkarotten und Pappostereier zurück in den Karton. Ein paar Osterartikel werden reduziert und kommen in eine Wühlkiste.

Jetzt werden kleine Liegestühle und Sonnenschirme zwischen den Büchern versteckt. Reisebücher, Wanderbücher, Tagebücher, dazu die passenden Schlüsselanhänger und Kofferanhänger.

Kurz vor Feierabend schreibt Agnes ihr, dass der Baumarkt wieder sehr viel Gartenkram reduziert hätte und sie es bereuen würde, wenn sie nicht vorbei guckt.

Sie hat keine Lust, brauchen tut sie eigentlich auch nichts. Fährt aber trotzdem mal vorbei. Vom kalten Fahrtwind rinnen ihr Tränen übers Gesicht und hinterlassen brennende Spuren auf ihren Wangen. Ihre bunte Leggins ist bis zum Knie hoch mit Schmutzwasser besprenkelt, weil alles nass und grau ist, passend zu ihrer Stimmung. Sie lässt sich in ihre miese Stimmung rein fallen. Sie ist meistens gut gelaunt und wenn es mal nicht so ist, dann will sie sich ergeben. Dann will sie Trübsal blasen wie eine Meisterin der Trübsalblaserei.

Hinter der Automatiktüre des Baumarktes hält sie kurz inne und lässt sich von der warmen Luft anpusten. Für ein paar Sekunden genießt sie das warme streicheln auf der Haut. Ob die Kassiererin erlauben würde sich nur mal für eine viertel Stunde mit einer Gartenliege in den warmen Luftstrahl zu legen? Sie würde die Augen zu machen und sich einbilden es wärme warmer Südseewind. Aber, Frieda geht davon aus, dass es ein absolut unerwünschtes Verhalten wäre und geht mit einem kleinen Seufzer weiter ins Innere.

Der Geruch in der Gartenabteilung hebt augenblicklich ein wenig ihre Stimmung. In den orangen Plastikkorb wandern eine blaue Blechlaterne, zwei Solarschmetterlinge, deren durchscheinende Flügel im Sonnenlicht flattern und ein Saattütchen Auberginen. Gartenkram vom letezn Jahr der raus muss bevor der Neue kommt.

An der Kasse fühlt sie sich dann doch wieder unwohl. Sie fühlt sich beobachtet. Sie blickt sich um. Die Farben der Saison sind grau, schwarz, dunkelblau und ein erdiges Braun. Sie kommt sich vor wie ein scheiß Kakadu. Zu allem Überfluss fehlen 30 Cent und sie spürt die Blicke in ihrem Nacken als sie ihre Jackentaschen durchwühlt. Im Normalfall würde es ihr nichts ausmachen. Aber heute würde sie am liebsten im Erdboden versinken. Wenn sie sich eh schon so ungenügend fühlt werden alle negativen Gefühle verstärkt. Sie kommt sich klein, schmuddelig und erbärmlich vor. Gerade als sie mit gefühlt hochrotem Kopf die Schmetterlinge zurücklassen will und ein dicker Klos in ihrem Hals entsteht, schiebt eine große Hand 30 Cent auf das Laufband. Sie traut sich gar nicht richtig hin zu gucken. Wie peinlich. Sie dreht den Kopf in die Richtung, bringt keinen Blickkontakt zustande als sie Danke sagt. Das kleine, schmuddelige Schmuddelkind bekommt 30 Cent geschenkt. Wie gütig. Vergelts Gott ehrenwerter Mitmensch. Erst als eine tiefe Stimme sagt. „Na dafür bin ich aber dabei wenn die Auberginen auf den Grill geworfen werden.“ schaut sie hoch und blickt in ein ihr vollkommen unbekanntes Gesicht. Ein Gesicht mit schwarzen Haaren und buschigen Koteletten die von silbergraue Strähnen durchzogen werden. Blitzeblaue Augen gucken sie warm an und unter einem Schnauzbart lächelt ihr ein Mund entgegen. Und plötzlich hat der Frühstücksmann ein Gesicht.

Und das Gesicht erscheint als sie später im Waagen sitzt und Tee trinkt und die Stimme hallt in ihrem Kopf als sie die Augen schließt.

Natürlich hat sie nicht auf ihn gewartet bis er seine Schnur-Rolle und seine Gartenhandschuhe bezahlt hat, sondern ist gleich raus gestürmt und hat sich auf ihr Rad geschwungen. Er hat noch einen Abschiedsgruß hinterher gerufen. Aber sie war nicht in der Lage irgendwas zu sagen oder zu tun. Natürlich. Hätte Frieda so was drauf, würde sie nicht schon seit Jahren alleine im Bauwaagen wohnen. Aber das schwarze Loch hat sich umgestülpt und alles wieder ausgespuckt. Friedas Organe und Gefühle sitzen wieder an den richtigen Stellen und sind noch leicht mit Watte eingepackt. Sie wird jetzt nicht anfangen über sich zu schimpfen, weil sie mal wieder alles falsch gemacht hat, weil sie es wieder nicht auf Kette gekriegt hat, einfach hin zu gehen und die Telefonnummer zu verlangen, damit sie anrufen kann, wenn sie Auberginen so weit sind. Sie weicht ein paar Torftabletten auf, damit sie die Auberginen gleich aussähen kann. Und die kommen nicht in den Anzuchtschrank. Die kommen in den Wagen, damit sie im Auge behalten werden können. Es sind die Auberginen vom Frühstücksmann.

Aber wenn man bedenkt, dass sie ihre Kartoffeln endlich gesetzt hat, es jetzt immer wärmer wird, sie zwei Solarschmetterlinge für 3,99 Euro bekommen hat und der Frühstücksmann endlich ein Gesicht hat, dann ist das ja wohl ein ziemlich guter Monat gewesen.

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