Goldenes Handwerk …

Mit diesem Text gehe ich seit über einem Jahr schwanger. Man will niemandem auf den Schlips treten und dann muss man ja auch noch etwas rumfragen …

Aber jetzt passts.

Also … vor vielen Jahren hatte mein liebes Fräulein die Idee, unmittelbar nach der Schule durch die Welt zu reisen. Work&Travel, wwoofen, Urlaub gegen Hand, u.s.w.

Ich war dafür erstmal eine Lehre zu machen, weil es ist immer von Vorteil wenn die Hand, die sich anbietet auch irgendwas kann, außer in der Nase zu bohren.

Das leuchtete ein und das liebe Fräulein wollte eh erstmal ein FSJ in Bosnien Herzegovina machen.

In diesem Land scheint es so zu sein, dass Menschen die etwas wichtiges können – Tischler, Maurer, Klemptner, Elektriker, Ärzte, Schneider, Bauern – sehr beschäftigte, geachtete und gutsituierte Menschen sind. Während Akademiker ehe den großen Teil der arbeitslosen Bevölkerung stellen, da man – anders als in Deutschland – hier keine Jobs „erfindet“ um Menschen in administrativen Bereichen unterzubringen. Natürlich sind administrative Jobs in Instituten und Behörden wichtig und alles muss halt auch verwaltet werden. Aber nicht so übertrieben wie hier, wo scheinbar ständig irgendwelche Pöstchen, Ministerien und Arbeitsgruppen aus dem Ärmel geschüttelt werden, damit auch der letzte Bachalor/ Master seine Existenzberechtigung bekommt und sich wichtig fühlen darf.

Nun, das liebe Fräulein hat in Bosnien einige Bauernfamilien kennen gelernt und durfte sehen wie die dort leben, was sie sich alles selber machen und wenn sie eigentlich brauchen – niemanden.

Sie war auch einmal auf einem Klemptner angewiesen und durfte auch erleben, was man sich erlauben darf, wenn man einen guten Job macht.

(Ich bin gespannt wie lange das noch geht. Denn durch agressive Werbung ist bei der jüngeren Generation auch schon angekommen, dass H&M viel cooler ist als selbstgenähte Klamotten, gekauftes besser als selbstgemachtes, u.s.w., deswegen wollen immer weniger handwerkliches lernen.)

Nun, darum solls nicht gehen. Das liebe Fräulein kam zurück und wusste nicht was sie lernen wollte. Sie wollte am liebsten ALLES. Ein ziemlich vielseitiger Beruf ist meiner Meinung nach Hauswirtschafterin. Aber wenn man kein Fleisch zubereiten möchte, wird’s halt schwer.

Dann hat sie ein Praktikum in einer Naturlehrwerkstatt gemacht, danach bei einem befreundeten Tischler. (Ich hätte damals so gerne eine Lehre als Tischler gemacht, war aber zu der Zeit und dann noch in der Schwalm, nicht machbar. Ich habe noch nicht mal eine Antwort auf die zahlreichen Bewerbungen bekommen. Mädchen machen sowas halt nicht.)

Nun, inzwischen ist das möglich. Also in Sachsen Anhalt zumindest. Für die Schwalm habe ich da immer noch meine Zweifel.

Das liebe Fräulein rief bei der Handwerkskammer an um sich Adressen für Ausbildungsbetriebe geben zu lassen und wurde dort erstmal angemault. Jeder Studienabbrecher wollte Tischler lernen, es gibt keine Ausbildungsstellen und die, die es gibt sind voll schlecht und mit Mädchen will sowieso keiner was zu tun haben, sie soll es besser lassen. Da war sie erstmal traurig aber befreundete Tischler meinten „Bei der Handwerkskammer brauchst du garnicht anrufen, alle unfähig da und einfach nur ein großer Wasserkopf der es dem Handwerk nur schwer macht.“

Sie bewarb sich trotzdem und hatte dann auch recht bald eine Lehrstelle in einem großen Betrieb. Ich war recht froh, denn ich dachte so ein großer Betrieb, mit eigener Lehrwerkstatt ist besser als ein 5 Köpfiger Minibetrieb, wo Lehrlinge ihre Lehre nach Feierabend machen und auf Arbeit nur Handlanger sind oder eben voll prduktiv – zum Lehrlingslohn.

Weil gefehlt … Lehrlingen wurden Ohrfeigen angeboten, beschimpft, durften nur im Akord Paletten zusammen schustern und waren eigentlich nie in der Lehrwerkstatt drinnen. Man hatte so den Eindruck, dass die Lehrlinge mit Absicht so gehalten werden, dass sie gerade so ihre Ausbildung schaffen um danach als Billiglohnkräfte für den Betrieb zu arbeiten. Die haben nur ganz einfachen Scheiß gemacht, da braucht man auch keine motivierten, kreativen Tischler. Die Stimmung wurde dort so gehalten, dass jemand der sich wehren wollte ein Weichei war und „na dann gründe doch einen Betriebsrat.“ der runnig Gag.

Ein kaputter Rücken ist die Auszeichnung dafür ist, dass man sich für keine Arbeit zu schade ist und ordentlich anpacken kann und keine alte Flennsuse ist.

Aber das beste war … die Tischlerazubis sind zu Überstunden gezwungen worden und dann noch um einen Freizeitausgleich betrogen worden.

Im selben Betrieb wurden auch Bürokauffrauen ausgebildet, die immer später gekommen, pünktlich gegangen sind, saubere Klos, Kaffeemaschienen, Wärme und Sauberkeit UND 200€ mehr Lehrlingsvergütung hatten.

Kurz – das liebe Fräulein lernt schon längst in einem richtigen Betrieb in Halle. Dort hat sie in den ersten 14 Tagen schon mehr gelernt als im Arschbetrieb im gesammten ersten Lehrjahr.

Und ich habe mich inzwischen mit vielen Meistern über das Thema unterhalten. Man bekommt quasi Lehrstellen hinterher geworfen. Allerdings sitzen scheinbar auch in jedem größeren Betrieb irgend welche alten Zausel, die kurz vor der Rente sind und es nicht schnallen, dass man heute eben nicht mal so einem Azubi eine scheuern kann, weil er sich mal doof angestellt hat. Viele junge Menschen sind – vielleicht auch verwöhnte Weicheier – gut informiert wenn es um ihre Rechte geht und haben auch Erwartungen von einer Ausbildung. Die wollen nämlich ausgebildet werden. Und dazu will keiner einem 60jährigen Alkoholiger in den Arsch kriechen um ein paar Tipps außer der Reihe zu bekommen. Natürlich sind Lehrjahre keine Herrenjahre … aber auch keine Sklavenhaltung.

Und viele die eine Lehre anfangen sind – nach dem Abi – inzwischen 19 Jahre und die lassen eben nicht mehr so mit sich umspringen wie Kinder von 15, die nach dem Hauptschulabschluss was suchen.

Es muss einen Standard geben, den Ausbildungsbetriebe einhalten müssen und der auch kontrolliert wird. Gerade auch bei großen Betrieben. Die dürfen nicht nur ihre eingenen Hilfskräfte ausbilden, sondern müssen dafür sorgen, dass man sich auch mal woanders nach einem Job umgucken kann.

Und keinen interessieren Geschichten wie „Damals auf Montage haben wir 12 Stunden am Stück und 6 Tage die Woche gearbeitet, hatten morgens schon 1.8 auf dem Kessel und wo sich einer mit der Nagelpistole in den Fuß geschossen hat, gabs ein Pflaster drüber und weiter gings. Und du willst jetzt mit bißchen Schüttelfrost und Fieber krank machen?“

Solche Dummschwätzer in hornhautfarbenen Cordhosen, bis fast zur Brust hochgezogen und dem Haaransatz knapp vor der Fontanelle sitze aber überall. Entweder in großen, älteren Betrieben oder direkt in den Büros der Handwerkskammer. Deswegen wird sich da so schnell nichts ändern fürchte ich. Und im Endefekt sind das auch nur kleine Opfer. Durch die Lehre geprügelt, bis zu ihrem 40. Lebensjahr selber in sämtlichen Ärschen gesteckt um mal was gezeigt zu bekommen, wird nun geheult, dass keiner auf sich rumhacken lassen will und es heute keine Lorbeeren mehr gibt fürs stillschweigende Erdulden. Aber zumindest hat man einen schlechtbezahlten, langweiligen Job sicher in der Tasche. Bis zu seinem 67. Lebensjahr, bevor man dann mit einem Präsentkorb und einer Urkunde in die Rente geschickt wird.

Wenns glücklich macht …

2 Gedanken zu “Goldenes Handwerk …

  1. Gut, dass das Fräulein den Betrieb wechseln konnte und was gutes gefunden hat.
    Handwerk ist was Tolles. Da hat man das Ergebnis halt auch gleich vor Augen (spricht das Büromäuschen 😉)

    Gefällt 1 Person

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