Unerhört … ich bin empört …

oder wie man sich Probleme aus dem Arsch zieht

 
Ich reg mich ja auch ziemlich schnell auf und mir platzt ganz oft der Arsch weg. Ich brauche das aber wegen meinem Blutdruck, der ansonsten chronisch zu niedrig ist. Meine zwei Tassen Kaffee würden nicht reichen, um so früh morgens in die Gänge zu kommen. Ich denke dann z. B. derzeit an meine Vorgesetzten und bin sofort auf 180, hellwach und erreiche auf meinem Rad bestimmt 50 km/h. Wenn sich andere aufregen, oder etwas edler – einfach nur empören – dann sollte ich eigentlich den Mund halten. … dachte ich bisher immer.
Aber ne, ich schreibe doch was dazu. Darauf gekommen bin ich durch Triggerwarnungen.

Ich liebe Podcasts und lasse mich quasi den ganzen Tag berieseln. Besonders stehe ich auf True Crime Podcasts. Also Menschen mit meist angenehmen Stimmen, erzählen von Verbrechen, die wirklich passiert sind. Und meistens gibt es davor Triggerwarnungen. Also man warnt die Zuhörer vor den Inhalt. „Der Podcast enthält gewalttätige oder verstörende Inhalte. Wenn ihr das nicht aushaltet, dann hört ihr ihn besser nicht.“
Ich dachte immer, das wäre ein dämlicher Spaß, denn wenn ich einen True Crime Podcast anhöre, erwarte ich genau das. Deswegen höre ich mir das an. Aber dann wurde sich in einigen Folgen bei Zuhörern entschuldigt, die sich schriftlich darüber aufgeregt haben, dass sie wegen dieser oder jener Beschreibung, voll traumatisiert wurden.

Und ich dachte mir, also bitte, habt ihr den Schuss nicht gehört. Es gibt so viel zu hören, wissenschaftliches, über Liebe, über Mode übers Reisen … wenn euch Gewalt antriggert, dann könnt ihr keine True Crime Podcasts hören. Wer sich dennoch für Krimis interessiert, der kann dann die drei Fragezeichen oder fünf Freunde hören, oder TKKG.
Bei einem endlos Telefonat mit dem lieben Fräulein ging es dann um dieses künstliche Empören über jeden Scheiß. Z. B. gibt es ziemlich viele Texte, die wirklich witzig sind, wo das Periodshaming angeprangert wird. Also nicht in anderen Ländern, wo das bedauerlicherweise zur Realität zählt, sondern hier in Deutschland. Ich habe nun weit mehr als 30 Jahre Tamponkauf hinter mir. Und nie, aber auch wirklich nie bin ich doof angemacht worden, weil ich Tampons aufs Kassenband geworfen habe. Meine ersten Tampons habe ich noch bei uns im Dorfladen gekauft. Ja, zugegeben, der Mensch im weißen Kittel hat kurz die Augenbrauen hochgezogen … das wars. Dem lieben Fräulein ist so was auch noch nie passiert.

Und wenn man dann Geschichten hört von jungen Frauen die sich verschämt mit Tampons aushelfen und dann einen Spießrutenlauf machen müssen, bis sie unter den stechenden Blicken, alter Männer die Teile schamesrot bezahlen … wo um Gotteswillen lebt ihr denn? Natürlich kann es mal vorkommen. Aber passiert es tatsächlich so oft, dass man eine #periodshaming Selbsthilfegruppe gründen muss?

Oder stillen … ich habe das liebe Fräulein vor 23 Jahren auch mal gestillt. Auch in der Öffentlichkeit. Aber nie, nie, nie bin ich dumm gemacht worden. Nie bin ich abwertend angeschaut oder zusammen gepfiffen worden. Und hört man jetzt so manche Geschichten, muss man glauben, dass alle vor Wut durchdrehen wenn sie eine Mutter beim stillen sehen. Ich glaube natürlich, dass es hin und wieder einen Arsch gibt, der Anstoß an einer Frauenbrust nimmt. Aber ich habe es auch schon erlebt, dass durch sehr absonderliches Verhalten, blöde Reaktionen provoziert wurden.

Vor ein paar Jahren laufe ich z. B. durch die kleine Ulrichstraße, wo viele Cafés mit Schaufenstern sind und sehe … eine Frau mit nackten Brüsten in einem Schaufenster stehen, ich gucke genauer hin und denke noch „Nanu?“ Und bemerkte wie sie gerade die Arme nach einem Baby ausstreckt. Sie und beide Freundinnen gucken durch das Schaufenster nach draußen und sehen mich wie ich guckend daran vorbei laufe. Das ging alles in Sekunden, ich bin ja auch nicht langsamer geworden. Eine schüttelte die Fäuste, die andere kam zur Türe gerannt und schrie „Stillen ist das Natürlichste der Welt!“ und erst später habe ich geschnallt, dass ich quasi „Opfer“ einer inszenierten Provokation geworden bin. Mir wäre es nie eingefallen, mich zum Stillen zu verstecken, aber mich barbusig in ein Schaufenster zu stellen, hätte ich auch nicht drauf gehabt.

In dem vegetarischen Bistro, in dem ich mal gearbeitet habe, gab es auch genügend solcher Szenen. Man kann sich ganz normal ins Bistro setzen, die Ruhe genießen, oder draußen auf den bequemen Stühlen platz nehmen.Man kann sich aber auch auf einen coolen, aber unbequemen Liegestuhl direkt an der Straße setzen, beim stillen eine Suppe essen und den Kopf von seinem Baby verbrühen, weil man aus Versehen Suppe drauf schüttet, weil der Liegestuhl eben nicht dazu geeignet ist, ordentlich zu sitzen und zu essen … aber wenn ich einen Mama Blog habe und da regelmäßig berichte, wie ich fies angeguckt werde … dann muss ich halt ein bisschen Aufwand betreiben.
 
Oder ich wickel gleich mein Baby im Restaurant auf dem Tisch und lege die volle Windel aufs Tablett für die Geschirrablage. Dann kann ich dann wieder über kinderfeindliche, intolerante Menschen heulen.
 
Ich war 14, wo ich mit Domestos Jeans, Palituch und einem mit schwarzen Filzstift aufgemalten Totenkopf auf dem Unterarm rumhing. Nicht bei uns im Dorf, sondern in der nächsten Stadt. (Treysa … das ist ein Insider … und ja es war für mich damals eine richtige, fette Stadt … süß) Und jeder von uns hatte mindestens einmal am Tag ein Erlebnis mit einem Erwachsenen, wo dieser dann sagte, dass es damals so was wie uns nicht gegeben hätte. Und wir haben dann irgendwas Cooles gesagt und den Stinkefinger gezeigt. Leute, es wird Zeit, mal die Hosen runter zu lassen. Das Erwachsene „So was hätte es früher nicht gegeben!“ sagen, wusste ich aus den Bravo Lovestorys. Da haben Erwachsene immer sowas zu Punkern gesagt. Es ist genau einmal vorgekommen, dass mich ein alter Opa dumm gemacht hat. Es war nämlich viel Schlimmer! Es hat niemanden interessiert. Den einzigen Menschen, den ich mit meinen „punkigen“ Outfits bis auf Blut provozieren konnte, war meine Mutter. Vielleicht hat mal einer mit dem Kopf geschüttelt, oder gekichert. Um auf Konfro zu gehen, musste man sich schon auf die Rückenlehne von Parkbänken setzen und die Schuhe auf die Sitzflächen stellen, dazu leere Bierdosen durch die Gegend werfen und mit Eding überall Pimmel hinmalen.

Oder man hat sich zum Abhängen und rauchen auf dem Schulhof der Grundschule getroffen. Da hat man vielleicht noch jemanden gefunden, der einen cool findet.
 
Bei Jugendlichen erfüllt der Hang zur Provokation vielleicht den Zweck zur Abnabelung, oder um sich selbst zu erfinden. Vielleicht muss man sich auch irgendwie beweisen, dass man erwachsen ist, wenn man sich in einem Streit behauptet.
 
Aber warum macht man das als Erwachsener? Vielleicht um meine Meinung nur noch mal bestätigt zu wissen? Ich stelle mich solange in eine Metzgerei bis ein sehr, sehr dicker Mensch, oder jemand mit einem Lanzer Shirt, reingeht um zu sagen „Ha, siehste, ich habs gewusst.“
 
Es gibt so viele Dinge die es Wert sind bemerkt zu werden, die es Wert sind dafür zu streiten, dagegen zu streiten … sich darüber richtig aufzuregen. Auch wenn sie einen nicht persönlich treffen.
 
Ab und an beschleicht mich die Ahnung, dass man sich lieber kleine Probleme aus dem Arsch zieht und darauf rumreitet, weil man keinen Nerv hat sich um was Großes zu bemühen.
Massentierhaltung, da regen sich schon so viele darüber auf. Wie kann ich mich da profilieren, hab ich überhaupt die Lust, mich in das Thema rein zu arbeiten, um die richtigen Argumente zu haben? Darf ich mich über Massentierhaltung aufregen, wenn ich selber jeden Tag Ferdi Fuchs Wurst esse?
Dann gucke ich mir lieber auf einem Sportkanal ein Autorennen an, um anschließend einen empörten Brief über Frauenfeindlichkeit zu schreiben. Weil die Damen die im Bikini einen Pokal überreichen, können ja nicht wissen, dass sie ausgenutzt werden, dazu brauchen sie meine Stimme, weil ich alleine weiß was geht und was nicht.
 
Meine Güte.
Ich habe jetzt irgendwie den roten Faden verloren. Oder die roten Fäden …
Also – man darf sich ärgern, empören und maßlos aufregen. Aber wenn ich mich dazu absichtlich antriggern lasse, dann ist das lächerlich. Wenn ich einmalige, oder meinetwegen zweimalige Erlebnisse als gesellschaftliches Problem aufbausche, nur um im großen Stil meckern zu können, dann ist das auch daneben.
 
Das kurz übers Aufregen. Ohne vorherige Triggerwarnung.

Ein Gedanke zu “Unerhört … ich bin empört …

  1. Das Problem ist doch eigentlich ein ganz anderes – zu wenig körperliche Bewegung macht zuviel aufgestaute Energie auf zu wenig öffentlich-privatem Raum und dieser Energieüberschuss muss sich entladen. Aufregen ist also Gewitter für unausgelastete Sehrspätpupertierende mit keinen essentiellen Problemen und Denkansätzen, weswegen sich auch nur über naheliegende Banalitäten aufgeregt wird. Zusätzlich bringt die digital geförderte Selbstinzenierung noch Schaufenstertitten hervor, aber das ist auch der Pubertätsverzögerung zuzuordnen und geht vorbei, vielleicht, dann mit den Wechseljahren…
    Es sprach Dr. zool. Körb

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