Vom Alt werden

Erwachsen bist du dann, wenn du Verantwortung übernimmst. Wenn du in einer eigenen Wohnung wohnst für die du selber Miete zahlst, wenn du zur Arbeit gehst, obwohl dir der Schädel brummt. Als Erwachsener / Häuptling meiner Familie war es auch in meiner Verantwortung schlechte Botschaften zu überbringen und den Unmut darüber auszuhalten. Ich habe dem lieben Fräulein keine Obstquetschtüte gekauft, sondern Apfelschnitzen gegeben.Der prophezeite ewige Hass ist ja glücklicherweise ausgeblieben. Sie musste sich Abends die Zähne putzen und danach gabs nur noch Wasser. Wenn ich also Abends, mit klingelnden Ohren auf der Couch saß, habe ich mich immer schon erwachsen gefühlt. Es sollte zwar nochmal 20 Jahre dauern bis ich mich auch für mein Recht eingesetzt habe. Ich nicht einfach wild fluchend in der Gegend rumgesprungen bin, in der Hoffnung jemand bekommt es mit der Angst zu tun und gibt deswegen nach. Ich hab unter vielen Tritten gelernt mit Augenkontakt Kritik zu üben, den zu begründen und meine Wünsche zu äußern und die Konsequenzen zu ziehen wenn dem keine Beachtung geschenkt wird. Der Weg zum Erwachsenwerden ist spannend und vermutlich lerne ich auf dem Sterbebett die letzte Lektion. Ich freue mich auf jede. Weil ich erwachsen werden cool finde. Also erwachsen werden wie ich es eben interpretiere. Ich war auch schon immer Fan von einem gepflegte „Sie“. Enge Freunde meiner Tochter haben mich geduzt, weil ich es ihnen angeboten habe. Das war nicht die Regel. Auf dem Grundschulhof habe ich mal den Kopf über eine Mutter geschüttelt, die ein Kind richtiggehend angebrüllt hatte „Ich hab dir schon mal gesagt du sollst mich nicht immer siezen, dann komme ich mir so erwachsen vor!“

Was mich immer total abgefuckt hat war, wenn aus völlig unsinnigen Gründen mir mein Erwachsensein abgesprochen worden ist. „Tanja, du hast einen Stapel Comics auf dem Klo liegen, wann willst du endlich mal erwachsen werden?“

Bitte? Der Stapel liegt in einem eigens dafür angebrachten Regal, die Comics sind sortiert, Große unten und Kleine oben! DAS ist erwachsen. Wenn ich die Comics nach dem Lesen aufgeschlagen vor dem Klo liegen lasse und obendrein noch vergesse die Klospülung zu drücken, ist das nicht erwachsen. Als ich 2011 die Wohnung in der Krausenstraße bezog, hatten mich einige wohlmeinende Menschen so verunsichert, dass ich irgendwann heulend in meinem Schlafzimmer saß. Ich hatte mir ewig eine dunkelblaue Sternchen Tapete aufgehoben und in diesem Zimmer wollte ich eine ganze Wand damit gestalten. Dazu hatte ich Glitzerschmetterlinge gekauft und wollte diese zwischen die Sterne kleben.Zwei Tage lang, habe ich mit mir gehadert. Bin ich wirklich zu alt dafür? Wäre die Strukturtapete mit dem Schild drauf nicht dezenter? Ich habe immer auf eigenen Füssen gestanden und mich um meine Minifamilie alleine gekümmert, Geld verdient, Versicherungen abgeschlossen, Hundekacktüten mitgenommen, Klassenfahrten pünktlich bezahlt, Müll runter gebracht … und alles sollte nichts mehr wert sein, nur weil ich Sternchen Tapete mag? Ich glaube ich habe mich so lange irritieren lassen, weil ich dachte man müsste sich als Erwachsener auch anders fühlen. Aber wenn ich jetzt mit Jeans und Turnschuhen durchs Feld latsche, fühle ich mich nicht wirklich anders als wenn ich mit 16 zu Fuß durchs Feld unterwegs war um ins Mylord (Dorfdisco im Nachbarort) zu gehen. Ich habe immer noch die gleichen Tanzmoves drauf, brauch nur etwas mehr Platz. Nur im Bad bin ich schneller fertig, weil ich inzwischen weiß, dass ich gut aussehe.

Ich kann plötzlich Dinge „gut“ sein lassen. Ich habe es geschafft Menschen, die ich für Freunde gehalten habe, aus meinem Leben zu werfen. Ohne abschließend irgendwas klären zu müssen.

Erwachsen werden heißt Energie sparen. (ich bin noch nicht ganz durch)

Manche Veränderungen haben mich aber auch wirklich erschreckt. Ich hatte früher z.B. IMMER Jeans und schwarze Shirts an. Nur Schwarze oder halt Metall Shirts. Ich hatte nichts anderes im Schrank. Dazu Docs mit Stahlkappe. Sommer wie Winter. Irgendwann, mit dem lieben Fräulein im Tragetuch, bin ich durch die Stadt spaziert. Und geheimnisvolle Mächte zwangen mich einen pinken Blumenrock, ein pinkes Top und pinke Flipflops zu kaufen. Im ersten Sommer bin ich damit nur zu Hause rum gelaufen, weil ich mich sehr, sehr merkwürdig gefühlt habe. Ich fand das voll schön, verstand aber nicht warum. Man kann doch nicht einfach morgens aufwachen und das Bedürfnis haben einen pinken Rock zu tragen? Was ist wenn ich irgendwann aufwache und mir einbilde, dass ich eine Senf-gelbe Bluse und einen blauen Faltenrock zum glücklich sein bräuchte. Wo soll das hinführen wenn ich solchen Impulsen nachgebe.

Nun, ein paar Jahre später hatte ich nichts schwarzes mehr im Kleiderschrank und ich finde es gut. Docs trage ich mittlerweile keine mehr, weil die Qualität so mies geworden ist und sie nach einem Jahr so gammelig aussehen wie früher nach 10 Jahren. Schade.

Aber warum erzähle ich das gerade, worauf wollte ich eigentlich hinaus. Ach ja – Leute… ich werde alt. Das ist noch mal eine ganz andere Nummer. Die ersten Anzeichen kamen letzten September als ich bei meiner Schwester im Wohnwagen untergekommen bin. Morgens versuche ich auf einem Marmeladenglas die Inhaltsstoffe zu lesen und ich erkenne nichts. Ich versuche ein klares Bild zu bekommen, dass geht, wenn man es weit vom Gesicht weg hält. Das Problem hier ist dann aber, die Buchstaben sind dann oft zu klein und man kann sie auch nur nicht mehr lesen. Ich schiebe das Glas also hin und her und weiß nicht wie mir geschieht und dann kommt Katrin und meint „Na Tani, ist der der Arm nicht lang genug? Du brauchst bestimmt ne Brille, geh mal zum Optiker.“

Natürlich brauche ich keine Brille! Ich war schon immer ein Adlerauge. Seit 46 Jahren sehe ich alles. Aber weil ich auch beim Stricken meine Schwierigkeiten gehabt habe, bin ich dann doch mal gegangen. Tatata … Altersweitsicht. Ich brauche eine Brille. Und ich war erschrocken wie nötig ich sie gebraucht hatte. Als ich zum ersten mal mit der der Brille eine Zeitung aufgeschlagen habe war ich hoch erfreut wie schön und mühelos alles zu erkennen ist und die Freude ist erst weniger geworden als ich die Brille aufgelassen habe um in den Spiegel zu schauen. Ich habe nichts gegen Falten, aber wo sie so plötzlich da waren, haben sie mich ein bisschen erschrocken. Und total erschrocken war ich durch die Tatsache, dass mir das gar nichts aus macht. Bei meinem ersten grauen Haar mit 23 bin ich in Tränen ausgebrochen. Jetzt wo ich anfange auszusehen wie eine Wahlnuss geht mir das strack am Arsch vorbei.

Dann beim Einkaufen, ich schiebe den Wagen an den schokolierten Rosinen vorbei und habe plötzlich Appetit drauf. Ist das die Vorstufe zu Gele Bananen?

Ich sitze dann, wie immer im Schneidersitz, auf meinem Sessel, lese eine Zeitschrift (mein schöner Garten) mampfe Schokoladen Rosinen und überlege wann ich denn mal im Pluralis Majestatis angesprochen werde. Das ist in der Gegend aus der ich komme nämlich noch durchaus üblich.

„Hier, wollt ihr den letzten Tofu haben?“ „Wollt ihr euch setzten?“ „Habt ihr euch die Augen verdorben durch zu viel Filethäckelei?“ „Nein junger Herr Frodo, ehe von zu viel Zocken auf dem Handy. Aber Handarbeit bei schlechtem Licht hat bestimmt auch Schuld.“

Letztens bei facebook – jemand lässt sich einen Schnauzer stehen. Ich kommentiere mit „Grrrr, sieht aus wie Magnum.“ Das ich erst erklären musste, dass Magnum kein Eis ist, sondern eine Serie aus den 80ern hat geschmerzt. Die Antwort „Das war vor meiner Zeit.“ hat mich etwas aus der Fassung gebracht. Weil das war ja kein Kind mit dem Schnauzer, sondern ein erwachsener Mann. Man kann also viel, viel jünger als ich und trotzdem schon „erwachsen“ sein. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.

Alkohol verträgt sich scheinbar auch nicht mit Alt werden. Nach drei Bier bin ich hinüber.

Ich wach jede Nacht mindestens ein mal auf um aufs Klo zu gehen. Beim einschlafen höre ich meistens „Meister Eder und sein Pumuckl“ das ist dann wieder der Kontrast der es witzig macht.

Aber vor ein paar Tagen hatte ich fast die Nerven verloren. Ich sitze da und stricke. Dachte ich habe Lust auf einen Kaffee, steh auf, geh zur Küche, sehe dass es schon 17 Uhr ist, also keinen Kaffee mehr, sonst kann ich nicht schlafen (ernsthaft) setze mich wieder hin, nehme mein Strickzeug … und finde meine Brille nicht. Ohne Brille sind die Maschen ein einziger Brei, ich versuche es, schaffe es aber nicht weil ich einfach nichts sehe. Ich drehe meine Einraumwohnung auf links. Ich gucke an den unmöglichsten Orten. Fange irgendwann an zu heulen, weil ich noch so viel machen wollte. Fertig stricken, was lesen und einen Brief schreiben. Aber der Abend ist gelaufen. In meiner Verzweiflung wollte ich mir die Haare raufen. Dabei habe ich dann meine Brille gefunden.

Und ich dachte nur „Oha, jetzt fängts an.“ Was passiert als nächstes? Geh ich in den Laden um eine Bravo zu kaufen und sage dann Sachen wie „Früher hat die 1,50 DM gekostet und es war das Fernsehprogramm für die ganze Woche drinnen?“ Geh ich dann an den Kiosk und will mir ein Raider kaufen?

Wenn ich dann verwirrt da sitze, wird mir das liebe Fräulein eine VHS Kassette mit Cohen der Barbar, Police Akademie oder ALF einlegen um mich zu beruhigen?

Mal gucken.

Es bleibt spannend.

 

4 Gedanken zu “Vom Alt werden

  1. Ach Liebe Tanja,

    Du wirst ne coole alte.
    Ne mal ernsthaft. Bei den indigenen Völkern, haben die älteren einen sonderstatus. Sie werden bevorzugt behandelt, weil sie viel Lebenserfahrung haben und als weise gelten. Sie werden von allen jungen um Rat gefragt. U d mit Respekt behandelt. Also altern mit stolz und Würde. Grüsse Ruth

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  2. Ach omchen, solange Du nicht plötzlich barfuss durch Laubhaufen im Park rascheln musst (in die vorher mindestens 23,5 Stadthunde uriniert haben), kannst Du beruhigt jedem Impuls nachgehen… Wenn man alle Lieder im Oldiesender der Stadt als Jugendhits mitsingen kann, oder der DLF The Cure spielt, dann fängt das altern an… 😉

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