
Ich habs nicht so mit Geschwindigkeit. Und gerade mit dem Rad mag ichs gemütlich. Vor allem seit ich vor vielen Jahren mal mit ansehen durfte, wie jemand der in Halle über den Markt gefahren ist, mit dem Vorderrad in einer Straßenbahnschiene stecken geblieben ist. Da er so schnell war ist er im hohen Bogen über den Lenker geflogen und beim Aufprall ist seine Nase aufgerissen. IN ZWEI HÄLFTEN! Ich habe ihn dann irgendwann mal in der Stadt gesehen, mit einer Narbe auf der Nase. Deswegen fahr ich halt langsam. Ein Kollege hat mal gesagt, ich würde gerade so viel in die Pedale treten, dass ich nicht umfallen würde und der Vater vom lieben Fräulein hat bei jeder Radtour immer geschimpft, weil ich bergab natürlich gebremst habe. Aber gerade in Halle ist es wichtig bedächtig zu fahren, weil da zu viele auf ihr Hand glotzen beim fahren und dann gerne mal so dicht an mir vorbei gefahren sind, dass der Seitenspiegel an meinen Lenker geschlagen hat. Und jetzt im Ernst, in Leipzig ist mir das bisher nur einmal passiert, dass mit jemand zu nahe gekommen ist. Ich gucke in Panik nach rechts, sehe zuerst einen Handydisplay, eine Frau die mich erschrocken anguckt und dann ein Hallesches Nummernschild.
In Halle waren in meiner Ecke nie so viele Radfahrer unterwegs. Und jetzt wohne ich ja in Leipzig. Genau gesagt in Connewitz. Bei ersten mal, als ich meinen Arbeitsweg von hier aus bestritten habe, habe ich fast einen Herzinfarkt bekommen. Kennt ihr die Szene in „Findet Nemo“ wo die sich einfach in diesen Fischschwarm werfen und mitgerissen werden? So ist das hier auf den Radwegen.
Ich also fröhlich pfeifend auf den Radweg gefahren. Kau noch an meinem Frühstücksbrötchen und werde überholt. Von links und rechts. Links eine Mutter mit Badelatschen. Vorne ein Kind, Auf dem Gepäckträger ein Kind mit Ranzen, links und rechts am Lenker ein dicker Einkaufsbeutel und sie hat mit jemandem über die Freisprechanlage telefoniert. Rechts kommt ein kleiner Marienkäferhelm an mit vorbei geschossen, eine Baby Born im Körbchen und verfolgt von einem Jack Wolfskin Vater, der ihr schreiend befiehlt beim nächsten Bäcker zu halten. Ich fahre eine Straße zu weit, da ich nicht aus dem Strom raus komme. Dabei überholen mich Räder, die noch viel klappriger sind als meins. Nach ca. 20 Minuten bin ich auf Arbeit. Sonst würde ich länger brauchen für die Strecke. Aber das lässt man nicht zu. Ich zittere, dass ich aussehe wie ein Kaffeejunky mit Parkinson. Soviel Adrenalin und Abenteuer, so früh am Morgen.
Auf dem Rückweg beschließe ich in den zweiten Gang hoch zu schalten. Ich fahre eigentlich immer nur im ersten. Um meine Knie zu schonen und weil schalten nervt.
Also ich schalte eins hoch und habe eine Geschwindigkeit drauf, die mir fast die Locken gerade zieht. Trotzdem werde ich immer noch überholt. Irgendwie sind sogar Senioren auf Klapprädern schneller als ich. Zuhause angekommen fühle ich mich wie ein Ballon, weil ich quasi die ganze Zeit quiekend eingeatmet habe.
Mitte der Woche bin ich soweit, ich schalte in den dritten Gang. Mehr habe ich nicht. Und ich fühle mich wie bei einem Raketenstart. Ich krieg den Mund nicht mehr zu. Ich überhole zum ersten mal einen Menschen. Als ich über meine Schulter blicke um zu checken wer die lahme Ente ist, sehe ich, dass sie einen Schlauch in der Nase hat, was meiner Freude über die Geschwindigkeit einen kleinen Dämpfer versetzt. Ich fahre weiter und frage mich ob ich mir den Infusionsbeutel am Lenkrad nur eingebildet habe oder hab ich das wirklich gesehen?
Und dann denke ich, leck Fett. Ich fahre wie es das alte Rad meiner Oma und meine Knie hergeben. Und obwohl ich kurzfristig mit dem Gedanken gespielt habe mir ein neues Rad zu gönnen, so eins wo der Arsch höher sitzt als die Schultern, werde ich meins trotzdem weiter fahren.
Obwohl das von hinten bestimmt witzig ausgesehen hätte. Man sieht nur einen Arsch auf dem Rad. Pacman bei einem Sonntagsausflug.

Nun, ich fahre also wieder gemütlich und … dann blockiert mein Hinterrad. Rücktritt kaputt. Wenn ich jetzt mit einem Affenzahn unterwegs gewesen wäre … würde ich vermutlich nicht mehr die Nase aus meiner Maske hängen lassen. Aber da ich schön gemütlich unterwegs war, bin ich einfach nur abgestiegen, habe mein Fahrrad zur Seite getragen, Christian angerufen und ihm mein Problem geschildert. Dann habe ich meinen Rücktritt mit einem alten Schlüsselring wieder dran geknibbert und bin so langsam nach Hause gefahren, dass es sogar mich genervt habt.
Jetzt ist eine neue Schraube drinnen und alles läuft geschmeidig.
Ich glaube ich kann mich ans Radfahren in Leipzig gewöhnen.
Titelbild: Liebes Fräulein Buntstift auf Papier