Mein Lastenrad und ich

Ich habe Samson von der Sesamstraße schon immer um sein Dreirad beneidet. Und viele Jahre habe ich immer wieder nach Dreirädern für Erwachsene geschaut, weil da richtig viel drauf passt und man damit sehr gemütlich fahren kann ohne umzufallen. Aber ne, so cool war ich nie. Ich hatte immer Angst, dass man denkt ich könnte kein Rad fahren. Bis ich dann mal ein Lastenrad gesehen habe. Mit zwei Rädern vorne, sieht dann nicht ganz so aus wie ein Kinderdreirad. Und letztes Jahr war es dann soweit. Ich hatte etwas Geld über, dass ich mir mit der Schreiberei verdient habe. Der alte Hund konnte nicht mehr laufen und ein Enkelkind hatte sich angekündigt. Zudem war mein Garten ca. 10 km weiter weg und ich musste immer auf Christian warten und ihn bitten mich zu fahren, wenn ich den alten Hund mitnehmen wollte. Oder Einkaufen, immer nur das was in den Rucksack rein geht. Das hat mich genervt.

Kurz vorab, wenn ich noch in Röllshausen, oder einem ähnlichen Ort leben würde, hätte ich natürlich ein Auto. Ich würde es oft benutzen und hätte obendrein ein „Für den Weiterbau der A49“ Aufkleber hinten auf dem Kofferraum.

Ganz klar.

Aber ich lebe schon seit längerem in einer Stadt. Mit Straßenbahnen, Bussen, Geschäften die man auch zu Fuß erreichen könnte und miesen Radwegen die oft zugeparkt sind.

Und auch wenn ich demnächst umziehe, wird es wieder eine Stadt. Zwar eine recht kleine Stadt, ohne Straßenbahn, aber mit allem was man braucht, von Supermarkt bis Buchladen in greifbarer Nähe.

Der Grund, warum ich kein Auto besitze und auch keins fahren möchte hat aber nicht nur damit was zu tun. Im Ernst, selbst wenn Blumen, Eiscreme und Einhornstaub aus dem Auspuff kommen würden, würde ich keins haben wollen.

Ich habe vor einiger Zeit mal kurz in einem Callcenter gearbeitet und habe für einen namhaften (kicher) Autohersteller telefoniert. In einem achtwöchigen Kurs durfte ich einiges von der Autobranche lernen. Das hat meine Meinung gefestigt.

z.B. Kunden mit Hybrid Autos, geben unendlich viel Geld aus um sich eine Solaranlage aufs Dach und eine Wallbox an die Wand zimmern zu lassen und dann bekommen sie einen Brief, wo drin steht, dass sie ihre Batterie nicht laden können, weil das Auto sonst explodieren könnte. Und dann wurde bei uns angerufen und geflennt, weil das Auto mit E Kennzeichen plötzlich bis zu 12 Liter verbraucht, wenn man ohne Strom fahren muss.

Wenn Testfahrten mit diesen Autos gemacht werden, dann sitzt da ein untergewichtiger Ingenieur drinnen, der bei den idealen Bedingungen mit der Karre seine Runden dreht.

Und die Leute rufen wieder bei uns an und heulen, dass die mindeste Reichweite nicht mal zu zwei Dritteln geschafft wird.

Oder die Menschen die anrufen, weil sie sich ein nagelneues Auto mit weniger CO 2 Ausstoß gekauft haben und plötzlich doch mehr Steuern zahlen müssen.

Weil es nämlich zwei legale Messverfahren gibt. Das eine benutzt der Hersteller um die Angaben als Verkaufsargument zu nutzen und das andere (das wo mehr dabei raus kommt) nutzen die Ämter.

Alles voll legal.

Oder die geilen, neuen Laserscheinwerfer. Nach 10 Jahren sind sie eigentlich durch. Und ein Neuer soll 5000 € kosten. Also du kaufst dir ein gebrauchtes Auto und kannst dann ein Jahr später 10 000 € für ein paar neue Lampen hinlegen.

Man erklärte mir grinsend, dass es gar nicht beabsichtigt ist, sich neue Scheinwerfer zu kaufen. Die Leute sollen sich gefälligst neue Autos kaufen.

Ach und zur Schulung… da haben wir auch was über Statussymbole und Prestige gelernt. Der „Ausbilder“ benutzte dazu folgende Geschichte:

„Stellt euch vor, ihr seid beim shoppen und seht einen Pullover für 50€, der ist ganz ok und einen Pullover für 250€, der echt voll geil aussieht, der steht euch und ihr sehr damit richtig edel aus. Welchen nehmt ihr? Ihr könntet den für 50€ kaufen, aber der würde die meiste Zeit im Schrank liegen, weil er euch eigentlich nicht gefällt. Aber den für 250€, den würdet ihr jeden Tag tragen und die Kollegen würden euch Komplimente machen. Also nehmt ihr natürlich den für 250€.“

Wenn ich einen Pullover für 50€ kaufen würde, würde der natürlich nicht im Schrank liegen, weil ich nur so etwas kaufe, wenn ich es brauche. Na aber egal. Und der Typ war davon überzeugt, dass sich jeder so ein Auto leisten könnte, wenn er einen guten Finanzierungsplan hätte.

Ich bin früher mit meinem bunten R4 durch ganz Deutschland geheizt. Meine Großeltern sind regelmäßig mit ihrem R 5 nach Ungarn gefahren. Wir sind mit 5 Leuten in einem Fiat Cinquecento nach Berlin gefahren. Und heute gehts nicht mal mehr 10 km zur Arbeit ohne Lordose Stütze?

Man kann noch nicht mal mehr die Reifen einfach wechseln, weil die dann „angelernt“ werden müssen. Und das kostet alles so unendlich viel.

Ich hatte Menschen am Telefon die rum geheult haben, weil sie mit Versicherung und allem mehr im Monat für ihr Auto zahlen, als ich Miete in der Leipziger Innenstadt. Und dann kam Corona und dann wirds eng mit 600€ im Monat für Prestige.

Und der Werteverfall! Alle armen Menschen die ein Auto bestellt hatten und dann nicht mehr nehmen konnten wegen Verdienstausfall. Das Auto war nur noch zwei drittel wert, noch bevor sie es vom Hof gefahren haben.

Natürlich riecht ein neues Auto ganz fein und glänzt ganz toll und im Sommer sind klimatisierte Sitze etwas feines und im Winter ein beheiztes Lenkrad. Aber es wäre auch toll eine Auffangstation für Schnabeltiere und Orang Utans zu haben. Oder ich könnte aufhören zu arbeiten, den ganzen Tag Pommes essen und vorm Fernseher abhängen. (31 x 1.99€ + 9,90 Amazon Prime TV, da würde Harz 4 sogar noch für Bier reichen). Oder es wäre toll einen gut bestückten Mann zu haben, der keine Penisprothese in der Garage parken muss.

Es kommt ein paar mal im Jahr vor, dass auch ich ein Auto brauche. Dann miete ich mir eins. Kein Ding.

Und zugegeben, mit dem Lastenrad einkaufen gehen ist mitunter beschwerlich.

Aber ich würde nie, nie im Leben meine Seele für ein Auto verkaufen und mich so abhängig machen und mein ganzes Geld ein paar Menschen in den Hintern stecken, die glauben meine Hierarchie definieren zu können.

Ich stehe auch auf Luxus und Bequemlichkeit. Aber es wäre durchaus nicht bequem, wenn ich mir den Arsch abarbeiten muss um die Rate für ein Fahrzeug zu bezahlen mit dem ich eigentlich – meistens nur auf Arbeit fahre.

Und Prestige und Statussymbole … Ich fahre ein original Bakfiets und trage einen Rucksack von fjällräven. Ich habe also durchaus Verständnis für so was. Aber ich entscheide was für mich ein Statussymbol ist. Und ein geleastes Auto ist es nicht.

Aber nochmal zum Lastenrad. Das was inzwischen wirklich unangenehm ist, ist die Tatsache, dass man für einen Wähler der Grünen gehalten wird. Das ist für mich hochnotpeinlich. Denn ich bin Umweltaktivistin und Tierschützerin. Also so eine echte Ökotrulla, nicht nur so als ob, mit SUV in der Garage und Fahrrad nur bei schönem Wetter, Freitags auf der Klimademo und Samstag mal schön nach Dubai fliegen und den Reiseführer über Alexa bei Amazon bestellen, zusammen mit einem Tierrechtskochbuch und einem Shirt mit grünem Umweltstatement, in China produziert. Ich bin seit vielen Jahren wirklich recht nachhaltig. Also nicht Grün.

Und ich finde die ganze Lastenrad Debatte so unmöglich. Die Kommentare, manchmal fällt mich dazu nichts mehr ein. Über die Abwrackprämie habe ich mich auch nicht beschwert, obwohl ich sie für sinnfrei gehalten habe. In meinem gibt es eine feste Bank mit richtigem Sicherheitsgurt für Kinder, warum sollte das Gefährlicher sein als in einem Anhänger?

Dann das ewige Geplärre „Ich fahre jeden Tag 40 km.“ ja und, dann nimm dein Auto. Keine Sau sagt dass du das mit dem Rad fahren sollst. Ich fahre jeden Tag 2 km und vorher bin ich 5 gefahren, auch im Winter. Gerade mal zwei Wochen musste ich Straßenbahn fahren. Und ziemlich viele die in einer Großstadt wohnen fahren unter 10 km. Um die gehts. Und keine alte Oma soll mit dem Lastenrad ins Sanitätshaus fahren um ihre neuen Stützstrümpfe zu holen. Das hat noch nie jemand gesagt. Oder das Handwerker mit viel Werkzeug ein Lastenrad nehmen sollen. Oder Notärzte.

Aber jeder muss sich über irgend einen Scheiß empören und ätzende Kommentare abgeben, obwohl es ihn einen Scheiß betrifft. Und das ständige Geflenne wegen der Steuern. Manchmal klingt es, als wenn Radfahrer von allen Steuern befreit währen und deswegen per se schon mal ruhig sein müssen.

Wenn ich demnächst auf Facebook wieder Werbung für Katzenfutter sehe werde ich auch kommentieren „Na toll, für meinen Hund ist Katzenfutter voll ungesund, habt ihr da schon mal dran gedacht und was ist mit denen die Katzenhaarallergie haben?“

Ja, ich nehme mehr Platz weg als der normale Radfahrer oder ein Fußgänger. Und vielleicht muss man etwas warten, bis man mich überholen kann, denn mein Gefährt ist 80 cm breit.

Ja, ist so. Kann ich nun auch nicht ändern. Wenn IN DER STADT nur die aufs Rad steigen würden die es könnten, wäre genug Platz auf der Straße.

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