The Dschörmen Ängst

Zu einer Zeit als ich noch 50 Handtücher, x mal Bettwäsche mehrere Service und verschiedene Badezimmerteppiche im Schrank hortete und vor allem mindestens 8 Stunden täglich arbeitete um meinen Besitz zu mehren, warten und zu pflegen, traf ich eine Bekloppte. Die war so alt wie ich, um die 40, lebte immer noch in einer WG und hatte ihren Freund in England. Das war mal eine Fernbeziehung. Aber sie lebte locker und entspannt in den Tag hinein, arbeitete um zu reisen und hatte weder eine Haftpflichtversicherung geschweige denn ne ordentliche Hausratsversicherung. Sie hatte gerade ihr WG Zimmer an eine Studentin aus der Schweiz untervermietet, weil sie, nach dem Yogaseminar, das wir gemeinsam im Schwarzwald hatten, gleich weiter reisen wollte. Sie wollte sich mit ihrem Freund ein paar Tage später auf Sri Lanka treffen, wo er in der Saison als Tauchlehrer arbeiten wollte und sie in einem Spa als Yogalehrerin. Nach der Saison kommt sie zurück nach Leipzig, zurück in ihre WG und arbeitet eine Weile in einem Supermarkt, als Putzfrau, bei der Post… bis die nächste Aktion ansteht. Bis dahin wohnt eine fremde Person in ihrem Zimmer, schläft in ihrem Bett, auf ihrer Matratze. Lernst an ihrem Schreibtisch, steckt ihre Stifte in ihre alte Tasse die sie seit Jahren als Stiftebehälter nutzt, glotzt ihre Fotos an ihrer Wand an und ließt womöglich noch ihre Bücher.

„Näääää. Also das wäre nüscht für mich.“ sagte ich damals. „Warum?“ fragt sie und grinst weil sie schon die Antwort wusste.

„Das Gepäck kann verloren, gehen, dann wird man krank und da gibt es keine vernünftige medizinische Versorgung, wenn man sich streitet, wenn was passiert und niemand spricht die Muttersprache, wenn dir von heute auf morgen gekündigt wirst, wenn die Schweizerin inkontinent ist, sich weigert wieder auszuziehen, deine Sachen kaputt macht, dein Leben übernehmen will, oder alle deine Freunde sie auf einmal viel cooler finden und wollen, dass sie da bleibt, wenn du doch keinen Job findest …“ Ich hatte so viele Gründe.

Sie lachte nur und meinte das wäre die typische „German Ängst“ was wohl ein geflügeltes Wort auf der ganzen Welt ist. Unseren Drang sich gegen alle Eventualitäten Absichern zu wollen, die Angst zu kurz zu kommen, für Faul gehalten zu werden, nicht das zu bekommen was einem zusteht oder weniger zu bekommen, wie einer dem das erst recht nicht zusteht. Für jeden Furz muss es feste Regeln geben weil sowie etwas passiert, gleich alle da stehen und schreien „Wie konnte das denn passieren, das darf doch nicht wahr sein, gibts denn kein Gesetzt dafür oder dagegen?“ Einer meiner indischen Yogalehrer meinte mal er würde Deutsche im Yogaunterricht anstrengend finden, denn die würden sich nicht mit einer Beschreibung der Übung zufrieden geben, die würden auch wissen wollen wie die Stellung der Augenbrauen sein sollte.

Ich habe selber mal eine Stunde gegeben wo mich jemand fragte wie er die Finger halten soll, bei einer Übung bei der die Finger nicht relevant waren. Ich meinte dann er soll die Finger so halten wie es sich für ihn gut anfühlt und er schrie „Hier gehts nicht darum was sich gut anfühlt, sondern wie es richtig ist!“

Wir scheinen zum großen Teil ein Volk zu sein, was klare Regeln liebt. Denn auch wenn wir nicht den Sinn darin erkennen, achten wir doch genau darauf, dass andere die Regeln einhalten. Wie oft wurde ich schon von Senioren angepöpelt, weil ich um 6 Uhr morgens, bei menschenleerer Straße, bei Rot über die Ampel gegangen bin? Wie viele Leute hatten sich bei der Stadt beschwert, die davon überzeugt waren, dass ich meinen Bauwagen auf ein illegal besetztes Grundstück gestellt hatte? Wie viele haben mich angeschrieben und wollten über meine Finanzen Auskunft, weil sie davon überzeugt waren, dass ich mein Lotterleben auf Kosten des Steuerzahlers lebe. Da gab es tatsächlich mal solch einen Dialog zwischen BP (bescheuerte Person) und mir

BP „Eh ich hass meinen Job, der macht mich richtig krank und ich geh trotzdem acht Stunden.“

Ich „Mir würde mein Job auch keinen Spaß machen, wenn ich so lange gehen würde, ich brauche zum Glück nicht viel Geld.“

BP „Na und, man muss doch trotzdem arbeiten, was machst du denn den ganzen Tag zu Hause? Du hast ja noch nicht mal Fernsehen.“

Ich „Ich hab schon zu tun. (zähle alles auf.)“

BP „Häh, damit kriegst du deinen Tag rum, dass könnte ich nicht. Ich glaube du bist einfach eine richtig faule Sau.“

Zum eigentlichen Thema zurück. Angst. Seit ich es, und das war wirklich harte Arbeit, geschafft habe mich von 90% meines Besitzes zu trennen, habe ich 90% weniger Angst, dass mit was kaputt geht oder weg genommen wird. Aufgrund meiner Erfahrung kann ich inzwischen sagen, nichts wird so heiß gegessen wie es gekocht wird. Es gibt immer eine neue Türe. Auch wenn sie erst mal nicht so toll aussieht und man nur widerwillig durch schlurft … dahinter ist wieder eine Neue. Auf dem Bauwagenplatz meinten viele Menschen „Was, ihr habt den Pachtvertrag nur für 5 Jahre? Und was ist danach?“ Ich dachte immer ich würde das dann sehen, wenn es soweit wäre. Ein Glück habe ich keine Zeit verschwendet mir darum Gedanken zu machen, denn es wäre voll Umsonst gewesen, da ich vor Ablauf der 5 Jahre ja eh schon wieder weg war.

Angst tötet Neuanfänge, gute Ideen und Veränderungen. Durch Angst sind wir manipulierbar und wenn es auch nur die Angst ist aus der Reihe zu tanzen und dann am Ende von allen angeklotzt zu werden.

Aber wir können es auch schaffen, mit der Angst zu leben, sie als Schicksal anzunehmen.

z.B. Alkohol – 2018 gab es ca. 3 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren die alkoholbezogene Störungen hatten. Sind es inzwischen weniger geworden, ich denke nicht. Die Zahl der jährlichen Toten durch Alkohol ist schwer zu ermitteln, da nur die gezählt werden die zu 100% am Alkohol starben. Also keine Verkehrsopfer oder so. Aber im Jahr 2002 waren es angeblich 74.000 Todesfälle. (Quelle DHS) – aber trotzdem gehört Bier zum Grundnahrungsmittel. Am Dorf wurde schon immer mehr getrunken UND Auto gefahren. Ich weiß das. Habs selber gemacht. Im Nachhinein assig, aber dennoch passiert. Ich war mal auf einer Feier. Da war eine Frau mit Volljährigen Kindern. Ihr Sohn hat 2 Bier getrunken, weil es danach noch in die Disco gehen sollte. Sie sagte ihm nur „Sauf nicht wieder so viel, wenn du noch fahren musst.“ Die selbe Person postet regelmäßig auf facebook, dass man Impfgegner vorm Krankenhaus verrecken lassen sollte. Was aber ist, wenn sie nicht Aufgrund einer fehlenden Impfung ins Krankenhaus müssen, sondern Aufgrund ihres besoffenen, autofahrenden Sohnes? Sie hat gelernt mit bestimmten Ängsten umzugehen.

Oder Auto fahren. 2019 starben 3046 Menschen. Es gab 2,7 Millionen Unfälle. Bei 11% davon wurde ein Mensch getötet oder verletzt. ( Quelle: Destatis.de) Ich hasse Auto fahren. Und ich habe tatsächlich Angst. Aber dennoch schüttel ich die Angst jeden Morgen ab, denn irgendwie muss ich zu meiner Arbeit kommen und ganz viele Menschen schütteln ihre Angst ab um 200 Sachen und mehr auf der Autobahn zu rasen.

Oder noch besser … laut RKI sind zwei drittel aller Männer und die Hälfte aller Frauen übergewichtig. Ein Viertel aller Erwachsenen sind stark Adipös. Es sterben jährlich rund 300.000 Menschen an Herzkreislauferkrankungen Aufgrund von schlechter Ernährung. Aber ist der Nutri Score oder die Zucker Ampel verpflichtend? Hat denn keiner Angst um unsere Gesundheit? Fehlt es hier vielleicht an Aufklärung?

Wenn ich … anders wäre … würde ich morgens schon Pommes zum Frühstück essen. Mit Mayo. Gibts inzwischen nämlich schon vegan. Ich würde wieder rauchen, meditativ selbstgedrehte OCB Papers, GIZEH Drehfilter, die dünnen mit Klebefläche und dann „American Spirit“ Tabak und ich würde mich jeden Abend mit 3 (weil alle guten Dinge 3 sind) Jever vors Fernseher setzen und dazu noch eine Tüte Kartoffelchips futtern. Jeden verdammten Tag.

Aber ich lass dass. Ich habe viel zu viel Angst. Angst vor Krankheit, Bluthochdruck, Abhängigkeit oder Unbeweglichkeit und vielen mehr.

Aber trotzdem bin ich solidarisch mit den ganzen Mutigen. Ich bekomme keinen Krankenkassenbonus für ein gesundes Leben. Kettenraucher die an Mundkrebs oder Lungenkrebs erkranken … natürlich sollen die ihre Chemo bekommen, egal welche Partei sie wählen. Raser die, besoffen oder nüchtern, Unfälle verursachen, natürlich sollen die nicht auf der Autobahn liegen gelassen werden. Hooligans die sich gegenseitig nach einem Fußballspiel die Knochen demolieren. He, junge Leute, ab ins Krankenhaus. Ich habe Menschen kennen gelernt, die trotz Diabetes weiter gegessen haben, als wenn nichts wäre und dann irgendwelche Gliedmaßen amputiert kriegen mussten. Eine Entziehungskur für den Alkoholiker? Bitte. Ist doch ok. Wer bezahlt das? Wir. Vollkommen ok. Gerne. Nur weil jemand mal schwach ist, darf er nicht dafür bestraft werden. Gicht wegen zu viel Schweinefleisch? Ab in die Kur mit dir? Der 3. Bypass? Trotzdem 3 Liter Kaffe täglich und 60 Stunden Büro wöchentlich? Kein Ding. Wir sind eine Gemeinschaft, wir kriegen dich wieder hin.

Also wir können scheinbar auch gut mit Angst leben. Derzeit sind ja die Schlagzeilen wieder voll von Angstmacherei. Lebensmittel werden knapp. Wenn man dann den Artikel anklickt, die Cockies akzeptiert und ließt, merkt man, nichts wird so heiß gegessen wies gekocht wird. Es könnte, eventuell, vielleicht, die Möglichkeit besteht … genau die vielen hätte, könnte, sollte die unsere „German Ängst“ antriggert.

Bitte, bitte, bitte … bunkert kein Klopapier, Nudeln, Tomatensoße und Hefe.

Ach und obwohl ich den größten Teil der „German Ängst“ meistens abgelegt habe, hatte ich erst gestern so viel Angst, dass ich mich fast eingemacht habe.

Ich wach um 4 Uhr auf, geh aufs Klo, gucke dabei aus dem Küchenfenster. Wenn man aus dem Küchenfenster guckt, kann man die Haustüre sehen. Und die stand sperrangelweit auf. Das hat man besonders gut gesehen, da ein kugelrunder Vollmond die Szene vortrefflich beleuchtete. Ich bin als raus, vorbei an der Kellertüre die auch aufstand. Das Haus ist genau 99 Jahre alt, der Keller dementsprechend. Dann stand ich im Vorraum und konnte auf den Hof gucken und hatte die Vision von einer Mischung aus Gollum und Slandermann die in spinnenhaften Bewegungen über den Hof starkst um mir den Kopf abzubeißen.

Wenn ich Angst habe … erreiche ich Lichtgeschwindigkeit.

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