Da geht noch was

Mit diesem Blog möchte ich dir, mit ein paar Geschichten, Anekdoten und Gedanken, eine Starthilfe geben. Sozusagen eine Gehhilfe für die ersten Schritte raus aus der Komfortzone. Ob das dann bei täglich nur noch zwei Tassen Fairtraide Kaffee endet, oder in der Walachei beim Ziegenzüchten, oder irgend was dazwischen, dass kommt auf jeden selbst an. Und wenn du dich am Ende eines jeden Textes, einfach nur vor den Kopf fasst, denkst „Neeee, wie blöd kann man sein?“ und danach noch zufriedener mit deinem Leben bist, he – dann bin ich das auch.

Wenn einem der innere Schweinehund in witziger Teufelsgestalt auf der Schulter sitzen würde, könnte man mal mit der Fusselbürste drüber gehen oder einen wohlmeinenden Menschen bitten, mal eben das Ding von der Schulter zu kratzen. Allerdings hat er sich zwischen den Ohren breit gemacht und ziemlich oft bemerkt man ihn kaum. Fügt sich der innere Schweinehund bis so ungefähr um die Volljährigkeit rum den frommen Wünschen seiner Eltern, dann kommt man relativ gesund und unbeschadet durch die ersten Jahre, geht regelmäßig zur Schule, guckt in die Bücher, trinkt nicht alles, zumindest nicht unter der Woche und mit ein bisschen Glück ist der Schweinehund mit Einzug in die erste eigene Wohnung gezähmt. Zumindest soweit, dass wir uns offiziell gesellschaftskonform verhalten und kein Nachbar mit dem Finger auf uns zeigen kann.

Aber der Schweinehund kommt in allen möglichen Gestalten um die Ecke. Ich musste erkennen, dass ich ihm nicht immer gewachsen bin, dass er sich auch von anderen beeinflussen lässt, dass er gerne den Weg des geringsten Wiederstandes geht und, dass es manchmal vollkommen ok ist ihm das Ruder zu überlassen und ein paar Dinge mit ihm abzusprechen.

Anfangs fing mein Kampf schon an wenn um 6 Uhr der Wecker klingelte. Da ich am Abend vorher meistens schon einen Kampf verloren hatte und wieder mal zu lange unterwegs war sowie viel zu viel getrunken hatte, versuchte mein innerer Schweinehund mich jeden Morgen dazu zu überreden liegen zu bleiben und krank zu machen. Da die Konsequenzen aber verheerend gewesen wären, habe ich diesen Kampf immer gewonnen. Es war ein ewiges Hin und Her, ein Verlieren („ich nehme das Auto, das geht schneller“ oder „Einer geht noch“) aber auch ein Siegen („ich ess jetzt einen Apfel“ oder „es ist zwar schon spät und ich bin voll, aber ich putz mir trotzdem noch die Zähne und schminke mich ab“).

Vor nicht all zu langer Zeit; manchmal fühlt es sich an wie vorgestern, manchmal wie vor x Jahren, saß ich in einer voll ausgestatteten 3 Zimmer Wohnung mit Balkon, Geschirrspülmaschine, IKEA Schrankwand (Billy mit Glastüren) Ich hatte einen großen Kleiderschrank, Nähmaschine, Joghurtmaschine, Epiliergerät, gut gefüllte Bücherregale, Blumenkästen, 6 teilige Geschirrsets. Ein Zimmer in der Wohnung war für mein liebes Fräulein reserviert und eine Ecke im Wohnzimmer für den lieben Hund. Obendrein hatte ich aus Gründen der Selbstversorgung einen Schrebergarten und einen mäßig erfreulichen Vollzeitjob in einem Callcenter. Vorhänge vor jedem Fenster, einen Fußabtreter vor der Wohnungstüre, 3 Gitarren, Topfpflanzen … kurz – ich hatte eigentlich alles, was die meisten mitteleuropäischen Frauen so haben. Ein wunderbar geregeltes Leben, in dem man getrost im August schon planen kann, was am ersten Weihnachtsfeiertag auf dem Tisch steht. Ja, ich war auch alleinerziehend, Vegetarierin, hatte keinen Fernseher und kein Auto und bin deswegen bei Wind und Wetter mit dem Rad gefahren. Aber unterm Strich, so wie´s sich gehört. Fotos belegen das. Manchmal gucke ich mir diese Bilder an, manchmal mit Entsetzen, gelegentlich mit Bedauern. Denn von meinem ganzen Überfluss ist nur noch das da was in einen Mercedes Vito rein passt. Mein liebes Fräulein ist in Bosnien Herzegowina auf Friedensmission, bringt Bosniern die deutsche Sprache bei und bekommt von ihren Schülern Äpfel geschenkt.

Ich bin mit dem lieben Hund ( derzeit) in Spanien, weiß kaum was der morgige Tag bringt. Hätte man mir vor ein paar Jahren das hier prophezeit, wäre ich, je nach Alkoholgehalt und Tagesform, sofort in Tränen ausgebrochen oder hätte mich mit hochgezogenen (perfekt gezupften) Augenbrauen locker (mit einem ordentlich manikürten Finger) an die Stirn getippt, ein verächtliches Grinsen auf den (roten) Lippen.

Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass ich weniger Angst habe, meine Zahnknirsch-Schiene schon seit Monaten nicht mehr getragen habe, mehr lache und um einiges gelassener bin. Ja manchmal sitze ich noch kurz in einer Ecke und heule, weil ich gerade nicht mehr weiter weiß und ja manchmal gehe ich im Stechschritt durch die Gegend und würde gerne jemandem – grrrrr – sehr nachdrücklich klar machen, dass sich sein Verhalten ungünstig auf meine Stimmung auswirkt.

Aber das hatte ich vorher auch. Und im Grunde sehr viel öfter als das jetzt passiert.

Der Weg von der Dreiraumwohnung in den Vito war weder kurz noch einfach.

Und dann musste ich noch mit den vielen Gestalten meines Schweinehundes kämpfen.

Auf Utopia hatte ich mal eine Weile recht intensiv „Briefe an den Schweinehund“ geschrieben. Weil jeder einzelne Brief auch für mich eine Krücke war, möchte ich diese hier wieder auflegen. Ich möchte von Erlebtem berichten, von einzelnen Schritten und Fehltritten. Die Mission „Mein Leben in meiner Hand“ finde ich spannend. Viel Spaß damit.

6 Gedanken zu “Da geht noch was

  1. Oh oh oh, ich bin ein bisschen sprachlos wie der Zufall mir deinen Blog heute, als ich beschlossen habe, Berlin den Rücken zu kehren, in die Hände fiel. Ich mag deinen Schreibstil unfassbar gerne und werde hier sicher oft reinschauen.

    Alles Liebe von einer, die gerade alles abbricht und ihr Zuhause sucht…

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    • Dir auch alles Liebe und viel, viel Glück. Halte mich auf dem Laufenden. Ich freu mich so für dich. Der erste Schritt ist immer schwer, aber irgendwann läufts irgendwie immer.

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  2. Gefällt mir sehr: dein Blog!
    Ich bin in Halle-Neustadt eingeschult worden, in der Potsdamer Ecke aufgewachsen, in Zwickau studiert. Auch wenn ich seit vielen vielen Jahren in Bayern lebe, bleibe ich im Herzen „Eine von drüben“. 😀

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