In (merk)würde altern

Ich habe eigentlich immer ganz gerne Geburtstag, obwohl ich nicht richtig feiere. Aber ich freue mich so für mich. Ich wach auf, sing mein Eichhörnchen Geburtstagslied für mich, zieh mir manchmal was hübsches an und frühstücke was besonders tolles. Eine Tüte Kartoffelchips oder so. Und dann habe ich immer drauf gewartet, dass mich mal jemand ernst nimmt, weil ich ja jetzt wirklich noch erwachsener bin als am Vortag, aber auch das ist nie eingetroffen und diesen Monat werde ich krasse 44, eine Schnapszahl, das ist fast schon so cool wie 45, weil da die Quersumme eine 9 gibt und die ist ja meine Glückszahl.

Und dann hab ich vor ein paar Tagen mit dem lieben Fräulein alte Fotos angeguckt. Fotos auf denen ich jünger war als das liebe Fräulein jetzt ist. In einer Zeit wo ich noch gedacht habe, dass Leopardenleggins einen dicken Hintern kaschieren und Dosenstechen für ein witziges Partyspiel gehalten habe. Also ich bin mir durchaus bewusst, dass mir ein großer Teil meiner Naivität abhanden gekommen ist und ich bin da nicht traurig drüber. Ich könnte zwar nicht mehr ganz so gut mithalten auf einer 1000 Liter Party in Schrecksbach, damals ein Event der Extraklasse, aber ich wüsste wann ich genug habe und das ist Gold wert. Das kann ich euch sagen. Also an und für sich ist älter werden nicht dramatisch. Wenn man mich ins künstliche Koma versetzt und 20 Jahre später auf geweckt hätte, dann wäre ich angepisst. Aber ich kann sagen, dass ich meine Zeit so genutzt habe wie ich meist wollte und auf viele Sachen milde Lächelnd zurück blicken kann. Von daher bereue ich fast nichts. Und wenn doch nicht wirklich schlimm. Vielleicht Zeit die ich sinnlos verplempert habe und ich würde mir keine Schmetterlinge mehr aufs Dekolletee tätowieren lassen, weil die ziemlich enge Kreise fliegen würden, könnten sie jetzt nach 20 Jahren abheben. Scheiß Schwerkraft. Aber auch das ist nichts, was mir schlaflose Nächte bereitet.

Aber manchmal gibt es so kleine Momente, da merkt man es plötzlich. Erschrickt ein bißchen und wird kurz nachdenklich.

Das erste mal habe ich die Uhr bei meinen Eltern im Garten ticken hören. Meine jüngste Schwester saß mit einem Typen aus unserem Dorf zusammen, der über einen gemeinsamen Bekannten erzählte „…seine neue Alte die ist schon fast 30, die riecht doch schon nach Erde und der kommt sich nicht blöd vor, Junge.“ Alle riefen betroffen „Ach wie krass!“ und ich auch, bis mir eingefallen ist „He, ich werde dieses Jahr 30, riech ich nach Erde oder was?“ und darauf erntete ich betroffenes Schweigen.

Das zweite mal habe ich mich sogar bei einem Radiosender beschwert. Ich stand so in der Küche und hörte Radio und ein Moderator kündigte eine Oldie Sendung an. Der Slogan war tatsächlich „Musik von Gestern für die Rentner von Morgen“ und als wenn das nicht frech genug wäre lief danach noch „Westerland“ von den Ärzten. Ärzte war mein erstes Konzert. Und doch bitteschön keine Musik von Gestern! Ich habe da angerufen, gesagt was ich von diesem Slogan halte und gesagt sie sollen es nicht wagen die Ärzte in einer Oldie Sendung zu spielen. Ich hoffe der Pförtner hat meine Beschwerde weiter gegeben.

Wenn man „La Boum die Fete“ guckt und den Vater von „Vic“ interessanter findet als Mathieu, dann ist das auch ein sicheres Zeichen, dass ein bißchen Zeit vergangen ist. Genau so als wenn man plötzlich Tatort Kommissare sexy findet.

Heute hatte ich angefangen ein Hörbuch zu hören und in an einer Stelle habe ich dann abgebrochen. Die ging ungefähr so „Detektiv Soundso sah trotz seiner fast 40 Jahre noch sehr attraktiv aus. Mit knallhartem Training hielt er sich in Form und sah, obwohl in der Mitte seines Lebens angekommen, wie ein Mann in den besten Jahren aus…“ Und ich dachte noch „Die Rotznase wird doch wohl nicht diesen Fall auf klären?“

Ja, der Zahn der Zeit nagt. Bei mir frage ich mich nur manchmal wo. Wenn sich gleichaltrige zufrieden zurück lehnen und erzählen, dass sie jetzt fast ihr Haus abbezahlt haben, dann kommen bei mir immer mal – so ganz kurz – bedenken. Hätte ich irgendwas anders machen sollen. Was hätte ich tun müssen um auch mit jemandem in einem fast abbezahlten Haus zu sitzen und auf Tupper Abende eingeladen zu werden. Und dann versuche ich mir die Männer vor zu stellen bei denen es zeitweise mal so ausgesehen hat, als wenn sie mit mir in einem Haus oder einer Wohnung hätten sitzen können. Manchmal treffe ich den ein oder anderen auf der Straße, manche mit kleinen Kindern an der Hand und ehemalige gemeinsame bekannte erzählen mir wie es läuft bei denen. Und dann denk ich mir.

Yea Baby alles richtig gemacht! Juhu geschrien.

Ich glaube ich kann mich auch beruhigt zurück lehnen. Ich bin immer ich selbst geblieben. Noch nicht mal mein Klamottenstyl hat sich irgendwie großartig geändert. Und ich fang jetzt nicht plötzlich an regelmäßig unterwegs zu sein um als die „beste Freundin meiner Tochter“ jüngere Männer an zu schmachten. Das wäre voll unwürdig.

Nein, ich sitze würdig in meinem Eigenheim, dass ich übrigens bar bezahlt habe, trinke trockenen Rotwein und pflege meine silbernen Strähnen. Meine grauen Haare haben eine ganz andere Struktur als die braunen. Die sind gar nicht mehr so gelockt. Ich bin schon so gespannt wie ich aussehe wenn ich ganz grau bin. Vielleicht wie ein Lisztäffchen. Und ich bin gespannt ob sich graue Haare besser bunt einfärben lassen als meine dunklen Locken. Ich hatte nie Lust das vorher zu blondieren. Hoffe ich bekomme im Wagen kein Rheuma oder so was.

Also – ich bleibe im Würde – merkwürdig.

7 Gedanken zu “In (merk)würde altern

  1. Sehr schön geschrieben. Glaube Jeder der schon ein paar Jährchen verlebt hat, hat so seine Jungendsünden im Gedächniskeller aufgehoben. Das interessante finde ich, das es mir bei sympatischen Menschen nichts ausmacht die zu erzählen. Weil mit denen kann man darüber lachen, die haben Ihre Jugend ja auch gelebt. Bei manchen Menschen ist es mir allerding recht unangenehm meine Erlebnisse zu erzählen, die gucken dann immer so als hätten die keinen Spaß in der Zeit gehabt. Ich lass das an Gestern denken sein, zumindest das Grübbeln ob man etwas hätte besser machen können. Die Zeit zurück drehen kann man eh nicht mehr. Man muss es auch mal gut sein lassen und nach vorne schauen. Für mich ist das was kommt eh interessanter.

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  2. Ich glaube das grübeln, ob man Dinge hätte besser machen können, kommt bei mir õfter, wenn ich sehe, dass mein Kind in die selben Sachen rein schlittert. Und die macht 100% alles anders – und auch nicht immer richtig. Aber meistens bin ich in der Gegenwart. Nur im November, da bin ich ein bißchen in der Zukunft, so lange mein Geburtstag vor der Türe steht. Weil da freue ich mich immer volle Bude drauf. Wegen meiner Geschenke. Die sind immer ziemlich toll, weil ich sie mir alle selber mache.

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  3. Kinder sind sehr oft wie ein Spiegel seiner selbst. Meiner ist erst 4 Jahre und ich bin echt verplüfft wie viele Eingenarten Er jetzt schon von mir hat. Und natürlich auch welche von seiner Mutter. Tja, da machste mit den Geschenken alles richtig, wenn ich so darüber nachdenke, mach ich mir viel zu wenige. Mhhh

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