Stolz und Vorurteil

Ich habe Vorurteile. Damit kann ich leben. Und das ist auch gut so.

Das einzige was hier ein bißchen stressig ist, sind Menschen die behaupten keine Vorurteile zu haben und deswegen anderen ständig auf den Sack gehen.

Aber selbst für diese Nervensägen habe ich Verständnis. Ich war doch ganz genau so.

In jungen Jahren mit bunten Haaren, Ring durch die Nase und Löcher in den Hosen, habe ich lautstark nach Toleranz verlangt und hatte selber keine. Für andere Jugendliche die z.B. im Trachtenverein waren, oder Popper, oder Erwachsene die es nicht so prickeln finden wenn Nachts in den Garten gekotzt wird.

Aber es gibt eine nette Geschichte wie mir meine Vorurteile plötzlich Bewusst wurden.

Also ich war so Anfang 20 und habe im Garten und Landschaftsbau gearbeitet. Die meisten Kollegen waren Russen und Polen. Wir hatten auch ein paar deutsche Arbeiter, die auf mich runter geguckt haben, weil ich a) die einzige deutsche Person mit Führerschein war (alle anderen hatten ihn versoffen) b) bekennende Bücherleserin war (ach guck mal an da kommt unsere Studierte) und c) schon damals meine Achseln rasierte (ach guck mal an da kommt die Prinzessin und will Modeshow machen). Nun, ich war Opfer von Vorurteilen.

Eines schönen Tages, kam die Tanja mit ihrem Bautrupp an eine riesen Baustelle, die so groß war, dass noch andere Gartenbaufirmen dort arbeiten mussten. Mitten in einer von diesen Truppen, stand ein großer, breitschultriger Mann, nicht viel älter als die Tanja. Der hatte Haare bis zu den Hüften, und war von den Handgelenken an tätowiert. Stande da und rauchte eine selbstgedrehte Kippe. Und die Tanja schaute mit einer hochgezogenen, gezupften Augenbraue abschätzend vom Scheitel bis zur Sohle seiner Arbeitsstiefel und meinte zu sich selbst: „Grmpf – Scheiß ABMer.“ Klar, lange Haare, Tatoos bis zum Hals, konnte sich hier nur um eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme handeln. Haben wir ja auch ab und an vom Amt in die Firma geschickt bekommen, Junkis, die einfach keinen Bock haben. Das Vorurteil, dass ich hatte war ja an sich schon dämlich – natürlich – zumal alle Männer meines Alters, mit denen ich bis dato zu tun hatte, lange Haare hatten und fast tätowiert waren. Ich selbst hatte lange Haare die an den Seiten abrasiert waren, hatte damals – nicht so viele wie heute – aber schon ein paar Tatoos. Ich stand kurz da und habe hin und her überlegt, wie ich auf den Blödsinn komme, dann bin ich zu ihm hin gegangen um der Sache auf den Grund zu gehen.

Hab ich recht oder bin ich nur doof.

Er war doch schon ein bißchen älter und Meister und der Chef von der ganzen Gruppe. Vorarbeiter oder Abteilungsleiter – wie man es nennen will. Trollig. Ich hab ihm von meinem Vorurteil erzählt und er meinte, er hat mich für eine jugendliche Kleinkriminelle gehalten, die hier ihre Sozialstunden abrocken muss. Er hat auf Drogenbesitz getippt und sein Kollege auf Ladendiebstahl.

Wir haben gelacht und diese kurze Begegnung als interessante Erfahrung abgehakt.

Durch mein Aussehen begegne ich Menschen die mich für ein (O-Ton) „Kind der Rassenschande“ halten, oder für einen Mensch mit Migrationshintergrund. Gerade im Sommer passiert das weil ich doch ziemlich viel Farbe bekomme. Das hat mich im übrigen nie verletzt. Den Spruch mit der Rasenschande fand ich daneben, hatte aber die gleiche Qualität für mich, als wenn mir ein kleiner Hund ans Rad pinkelt. Vor über zwanzig Jahren bin ich mal auf dem Ziegenhainer Flohmarkt einer Horde Inder begegnet, die mich wegen meinem Nasenring in die Schublade „leicht zu haben“ steckten. Das hatte sich mit ein paar warmen Worten ganz schnell aufgelöst und es gab ein interessantes Gespräch wonach jeder wieder, ein bißchen schlauer, seiner Wege ging.

Was ich damit sagen will … ich glaube keiner ist ohne Vorurteile.

Man sieht Sandalenträger in Strickjacken und denkt „Ökos“.

Man sieht eine verschleierte Frau und denkt „die Arme“.

Man sieht jemanden auf der Montagsdemo und denkt „Nazi“.

Ich sehe wasserstoffblondierte Frauen mit gemachten Nägeln und denke „Tussi“.

Ich sehe adipöse Menschen und denke „undiszipliniertes, faules Wesen“.

Ich sehe jemanden der die Bildzeitung liest und denke „Dummi“.

Ich sehe jemanden im schicken Anzug der mit Aktenkoffer durch die Stadt rennt und gestresst auf die Uhr schaut und denke „Armer Arsch.“

Ich sehe Menschen die in einer spirituellen Gemeinschaft leben und denke wie nett bestimmt alle sind – obwohl ich inzwischen wirklich gelernt habe, dass sich gerade hier gerne völlig Vorurteilsfreie Menschen gerne profilieren.

u.s.w.

Mal im Ernst, Vorurteile zu haben, den Menschen in Schubladen zu stecken, ist menschlich.

Ich finde es ok, solange man die Schublade nicht zu macht.

Man darf grob vor sortieren, wenn man dem Menschen die Chance lässt, das erste Bild zu revidieren. „Vorurteile“ können zur ersten Orientierung dienen, sollten aber nach zwei, drei Minuten Bedenkzeit schon geändert werden können.

Gut, manche Vorurteile halten sich. Aber dann sind es ja schon Urteile. Quasi in Stein gemeiselt. Das ist dämlich und peinlich und supernervig… aber da ich selbst, nicht viel anders bin, darf ich darüber wohl kaum zu viel meckern.

Auch wenn ich nicht zu stolz bin meine „Vor“urteile zu ändern.

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